Pulsschlag aus Stahl

lina gwen wayne 2Für den Rezenszenten ist es wirklich erholsam, wenn er sich nicht Schwurbeleien aus den Fingern saugen muss, um einen Sound zu beschreiben. Bei Lina & Gwen braucht's kaum Worte: Das ist Techno! Insofern ist es Programm, dass ihre erste EP "Genug gelabert" heißt.
Das sind eisenharte Beats. Gehämmert, verschweißt und aus einem Guss. So hat sich das vor 50 Jahren unter abstichrotem Abendhimmel im Ruhrgebiet angehört. In Bochum-Stahlhausen.
"Genug gelabert" enthält zwei kompromrisslose Technotracks mit jeweils einem nicht minder knüppelharten Remix. Für diese vier Stücke fühlt sich der Boden wie Himmel an, Liegen wie Fallen und Tanzen hält man für Atmen.
Die EP von Lina & Wendy Wayne ist letzte Woche bei Hold your ground als 12"-Vinyl und digital erschienen. Den Track "Palaber" könnt ihr hier hören. Hammer!

www.instagram.com/lina_gwen_wayne

Foto: Katja Ruge

Danke, meine Damen

Rückblickend muss man sagen, dass es Frauen gab, die es irgendwann völlig richtig machten, dich zu verlassen. Die Erinnerungen, die daran bleiben, sind schön und werden nicht durch jahrelanges Gewurstel verwässert. Um dieses melancholische und so echte Gefühl geht es im neuen Song von Long Tall Jefferson. "Young love" ist der neueste Song des Anfangdreißigers, mit dem er einen ersten Ausblick auf das am 20. November bei Red Brick Chapel erscheinende Album "Cloud Folk" gibt.
Mit diesem Begriff bezeichnet Long Tall Jefferson seinen neuen Sound, der sich abhebt von dem der beiden Vorgängeralben. Das Bisherige weicht für ein Album im Jetzt mit Elementen aus Trap, Cloud Rap, Chillwave. Wehmut bassgepolstert, Sehnsucht poliert und Minnegesang in ein neues Jahrhundert übersetzt.
Dabei hört sich "Young love" zunächst an wie das Werk eines Alleinunterhalters auf Kaffeefahrt bis das synthieflankierte Gitarrenpicking beginnt und sogar Platz ist für einen seichten Reggaebeat. Das ist der richtige Song, um sinnlos in den blauen Himmel zu starren und über vergangenge Lieben zu meditieren.

Neben Sophie Hunger ist Long Tall Jefferson der zweite wichtige Schweizer, der am heutigen Tag neues Material veröffentlicht. Hopp Schwiz!

www.longtalljefferson.com

Peter Broderick und die Brombeeren

broderick blackberry coverBeim ersten Hören habe ich Peter Broderick eindeutig jenseits des großen Teiches verortet. Doch Peter ist erst kürzlich von London nach Irland umgezogen. Sein neues Album hört sich allerdings dermaßen nach Amerika an, dass man meinen könnte, der 33-jährige sei tief im Mittleren Westen geboren und dort musikalisch sozialisiert. Broderick nennt es Schlafzimmer-Folk-Pop, denn schließlich hat er die acht Songs im Sommer 2019 komplett im eigenen Schlafzimmer eingespielt.Erst heute erscheint "Blackberry" digital, am 30. Oktober kommt dann die CD und das Vinyl via Erased Tapes auf den Markt.
Ich würde die Songs auf "Blackberry" als Öko-Pop bezeichnen, denn Broderick singt nicht nur eine Ode an die Brombeere, sondern auch ein ziemlich langes Lied über die Vorzüge und richtige Verwendung von Wildkräutern. Möglicherweise haben wir es mit einer Wiederkehr von Peter Lustig zu tun. Dementsprechend eröffnet das Album mit einer Trompetenmelodie, die jeder Kindersendung zur Ehre gereichen würde. Über den Albumtitel sagt der Musiker: "Als ich vor ein paar Jahren damit begann, mich intensiv mit dem Sammeln von essbaren Wildpflanzen zu befassen, hat mich die einfache Brombeere nicht gerade vom Hocker gehauen. Doch ich sollte schon bald mit neuer Leidenschaft zu dieser vertrauten Frucht aus Kindertagen zurückkehren."

Ich weiß nicht, was ihr damit anfangen könnt. Ich werde mir jetzt erst einmal ein Zigarettchen von getrockneten Blättern des Sauerampfers aus meinem Schrebergarten drehen, und genüsslich zurückgelehnt diesen lässigen Pop mit Weltverbesserungspotential hören. Schmauchschmauch...

 www.peterbroderick.net

Sorry3000 aus Turnhalle an der Saale

Sorry3000 hören sich manchmal an als sei es nur eine Frage der Zeit, wann die Band ihrer Heimatstadt Halle/Saale den Rücken kehrt und nach Berlin geht. Sorry3000 und ihre Songs sind derart nischentauglich, dass der Untergrund sich danach die Finger leckt. Die Band nennt es Realpop, dieses Gemisch aus Kindermelodien und Geschrei, schrägen Gitarren und abseitiger Lyrik. Andere meinen, in Sorry3000 das nächste heiße Ding zu erkennen. Und wenn's nichts wird, habt ihr es einfach nicht kapiert.
Es passt natürlich nur zu gut, dass die ostdeutsche Geheimtipp-Band jetzt beim norddeutschen Vorzeigelabel Audiolith untergekommen ist. Dort wird im Herbst auch das Album "Warum overthinking dich zerstört" erscheinen.
Daraus wird jetzt die nächste Single "Fitness" ausgekoppelt, die das gesunde Leben auf's Korn nimmt. Vielleicht macht man sich damit in Berlin eher Feinde. Dann doch besser die Poprevolution in Halle starten.

www.sorry3000.net

Psychoaktive Cigaretten

Wir haben Die Cigaretten wieder und wieder über  den grünen Klee gelobt. Damit hören wir nicht auf. Nach dem sehr überzeugenden Debütalbum "Sonic juz" arbeiten die Jungs hart am Nachfolger. Der ist lang noch nicht fertig. Dafür steht die EP "Crashkid" fast schon bereit. Das Appetithäppchen "Nichtsnutz" servieren Die Cigaretten jetzt ganz frisch in einem knallbunten Clip und auf brennenden Skateboards.
Das neue Stück ist erneut großartige Ruhestörung. Kompromisslos an Saiten und Fellen. Knappe drei Minuten psychoaktives Geräusch, dass in großer Lautstärke seine volle Wirkung hat. Für "Crashkid" haben Die Cigaretten zum Label Audiolith gewechselt. Das ist wohl, was man einen Karriereschritt nennt. Audiolith veröffentlicht "Crashkid" am 2. Oktober. Wir von unruhr bleiben bis dahin für euch am Ball.

www.instagram.com/diecigaretten

Afrika ist Uckermark, nicht Berlin

Jetzt sind die drei Jungs von Cassia aus Manchester in Berlin angekommen. Wie eigentlich jede aufstrebende Band zwischen Australien und Island. Das birgt eine gewisse Langeweile, die auch zu erkennen ist beim Schippern der Band auf Landwehrkanal und Spree.
Beim Umzug nach Berlin ist offensichtlich der afrikanische Touch verloren gegangen, der das Debütalbum "Replica" der jungen Briten aus 2019 geprägt hat. Die neue Single "Don't make a scene" versucht sich in Weichspüler-Sommersounds. Das gelingt Cassia gar nicht so schlecht. "Don't make a scene" ist unzweifelhaft ein Fußmitwipper. Er verwischt aber das ehemalige Alleinstellungsmerkmal: Diese zündende Kombi aus afrikanischen Sounds und englischer Popmusik.
Vielleicht treffen die Drei in Berlin einen Menschen, der ihnen verrät, dass Afrika nur 86 Kilometer nordöstlich vom Alexanderplatz mitten in der Uckermark liegt. Als Ortsteil von Flieth-Stegelitz. Das ist ein kurzer Weg für neue Inspiration hinsichtlich des geplanten Albums, das 2021 erscheinen soll. Da ist also noch Zeit.

www.wearecassia.com