Various artists - Berlin Super 80, Musik and film underground Berlin West (2005 monitorpop)

ImageWest Berlin 1978: Hinter der Mauer das Reich des Bösen, in deren dunklen Schatten leben ein Haufen Außenseiter in verrotteten Mietskasernen. Keine richtige deutsche Stadt wie Stuttgart oder München, sondern ein subversives Sammelbecken für im Rest der Republik Unerwünschte: Wehrdienstverweigerer, Anarchisten, Schwule und Flüchtlinge aus der Provinz trafen sich zum Häuserbesetzen und um eine entspannte Zeit bis zum bevorstehenden Atomtod zu verbringen. Böse und kaputt war die Welt und nicht weniger böse und kaputt wollte man auch sein. Vor lauter demonstrativem Schlechtdraufsein hatte man doch schon längst vergessen, wie das geht mit dem Glücklichsein.

In Schöneberg und Kreuzberg lebten noch Hausbesetzter, linksextreme, frei schweifende Dandys oder Vampire in Gummistiefeln und nicht nur Zahnärzte, Bioladenbesitzer und Kunsthändler. Es gab obskure Lokale wie das Cafe Mitropa, das Ex´n´Pop und Risiko: Orte zum Eintreten in Parallelwelten. Aus England hatte man den Punk und nihilistischen Neodadaismus importiert. Daraus entwickelten sich die Geniale Dilletanten. Der Name Geniale Dilletanten war Programm der Subkultur, die sich rattengleich im Westberliner Untergrund verbreitete (Die Tödliche Doris, Einstürzende Neubauten; Frieder Butzmann, Jörg Buttgereit).

monitorpop veröffentlichte nun eine DVD-CD-Buch Box mit Filmen und Tondokumente dieses Berliner Undergrounds zwischen 1978 und 1984. Im Zentrum stehen die 17 Kurzfilme der DVD: Super-8-Homevideos mit demonstrativer Kaputtness (Malaria!, „Carex Apart"), destruktiv-radikalem Humor („Hammer und Sichel" – Beispiel für den dissidenten Umgang mit Symbolen und Zeichen) oder der Inszenierung eines warmen Menschenkörpers auf kalten Fliesen („El Dopo"). „3302" ist eine Taxifahrt durch West-Berlin, bei der auf dem Rücksitz die Schar der Berliner Prototypen paradiert: Drogenopfer, Transvestiten, Wave-Schönheiten, jugendliche Drop-Outs, schwadronierende Speed-Freaks, indische Rosenverkäufer, Wilmersdorfer Wirtschaftsberater: Sie steigen ein und wieder aus und verschwinden in die Nacht. Nackte Brüste werden an die Scheibe gedrückt, Zigaretten geraucht, ins Taxi gekotzt. Eine düstere Stimme singt „listen to the voice in the night....". Berlin – Beton! Buttgereit hat einen Film über seinen Papi („Mein Papi") gedreht, der an einer Zysten im Gehirn stirbt. Es bleibt die totale Verunsicherung – ist dies nun Fiktion oder doch Dokumentation. Sehr schizo (auch durch das Papi-Lied aus dem Off).

Auf der DVD befindet sich auch noch eine Slideshow mit 300 Fotos von Bands, Venues, Leuten. Bilder aus dieser Zeit scheinen immer nur schwarz und weiß gewesen zu sein: Blixa Bargeld geduckt beim Auftritt unter der Autobahnauffahrt, Nick Cave im schmuddligen Anzug mit toupierten Haaren im Ex´n´Pop. Vielleicht hat die Erinnerung sie auch so entfärbt und auf ihre Graustufen reduziert. Vielleicht schien aber auch niemals die Sonne, weil für die Sonne war es immer zu spät oder zu früh, wenn es keine Sperrstunde gibt....

Neben der DVD befindet sich in der Box noch eine CD (mit Beteiligung von Frank Maier – Vinyl on Demand) mit Liedern von Malaria!, Christian F. („...ich bin so süchtig..."), Kosmautentraum, Neubauten, P1/E, DIN A Testbild, Die Tödliche Doris uvm. Alexander von Borsig (A. Hacke Ex-Einstürzende Neubauten) bittet zum Atomtod-Walzer und kreischt:

Hiroshima wie schön es war,
Hiroshima wie schön es war,
die Straßen waren hell erleuchtet,
wir verfaulten Arm in Arm,
wir waren so glücklich....
Hiroshima wie schön es war.
(Alexander von Borsig "Hiroshima")

Berlin klingt nach Schmuddelkindern. „Es muss eine schöne Zeit des Untergangs gewesen sein, damals, unterm flackernden Stroboskoplicht, im alten Berlin-West" (Jungle World).

Interview mit Anja Huwe (X Mal Deutschland)
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