Charlemagne Palestine - The Apocalypse Will Blossom

Charlemagne Palestine - The Apocalypse Will BlossomCharlemagne Palestine, Virtuose auf der Tastatur der autosuggestiven Minimalekstase, ritt 2000 als erster Bote des Weltuntergangs auf einem Plüschhengst in Aachen ein, begann ein Handgemenge mit einem Klavier und öffnete so im städtischen Ludwig Museum das Schisma zu anderen Seinswelten. Jedenfalls für einen Abend lang. Mit dabei war Christoph Heemann, der nicht nur die eruptive Rohfassung der Darbietung für die Nachwelt auf Band konservierte, sondern sich dem Material dann auch im Nachhinein noch ausführlich widmete, so dass dem Heimhörer nun quasi eine Melange vorliegt, die hauchdünn an der Türe zum Remix kratzt, den Raum der totalen Manipulation allerdings nicht betritt.

Nach einer Minute (gefühlter) Stille, welche einem Luftholen vor dem groß angelegten Tauchgang ähnelt, legt Palestine los, als säße ihm der fauchende Belzebub höchst persönlich im Nacken und peitsche ihn zu immer wilderen Eskapaden im unteren Refugium des Pianos. Und dieses ist bei dem speziell für ihn angefertigten Böhsendorfer Imperial mit der extra Bassoktave besonders weit im linken Handbereich angesiedelt. Wie ein Derwisch drischt der amerikanische Avantgardist mit Pionierstatus auf die Tasten ein, dass einem alleine vom Zuhören die Fingerkuppen verhornen. Dies dazu in einer solch wahnwitzigen Geschwindigkeit, dass an ein Verschnaufen zwischen den Tonstakkatos nicht zu denken ist.

All dies ist nun nicht neu in der Theorie, aber all dies sind die Merkmale Palestines kathartischer Kunst: Von der ersten Sekunde an wirft sich der Musiker in einen ekstatischen (oder auch eskapistischen) Rausch und löst sich als Spielender letztendlich völlig auf, überlässt der entstehenden und herbeizitierten Musik die Herrschaft über Kondition und Cognac. Das auditive Mantra lässt dem Verstand keinen Raum für kognitiven Eingriff, türmt immer wieder neue Klanghürden auf, die der hechelnde Intellekt niemals wirklich packen kann. Nahtod des Egos. Doch bei aller Simplizität in Struktur, Form und Klang könnte eine kleine Tat den kompletten Orkan zum Erliegen bringen: Würde Charlemagne Palestine auch nur einen Bruchteil lang darüber sinnieren, was er da überhaupt just im Augenblicke vollführt...Bumm! Krach! Bruchtal zu Babel. Palestines Werk ist hochgradig meditativ und verweist alle selbst ernannten Entspannungshysteriker mit Wasserpercussion und Harfensynthie in die gammelige Ecke esoterischer Fahrstuhlmusikfabriken.

Das entscheidende i-Tüpfelchen auf dem Mahlstrom ist allerdings Heemanns dezente und wohl dosierte Bearbeitung des Livematerials, welches durch Tonbandmanipulation noch in der Tonhöhe tiefer geschraubt wurde. Am Ende der CD ergießt sich ein Sturzbach aus schwarzen Gaulkörpern ins Auditorium und man meint, gleich eine ganze Armada von grummelnden und tief am Erdkern nagenden Imperials zu vernehmen. Spätestens hier steht die Apokalypse in voller Blüte.

Das aufwendig gestaltete Digipack mit den Brissot-Innereien rundet das ganze Paket endgültig und vorzüglich ab. Eine unbedingte Empfehlung für alle, die Palestine noch nie live erlebt haben und sich anhand dieser Aufnahme darüber noch mehr erzürnen können. Ein Beispiel dafür, dass man ein Instrument leben, es umgarnen kann, bis es in einen anderen Aggregatzustand wechselt.

www.charlemagnepalestine.org/