Camille - Music Hole (Virgin)

CamilleDie Times bezeichnete sie bereits als die andere First Lady von Frankreich - nicht weil sie sich ebenfalls im Umfeld von Supersarko delektiert, sondern aus reiner Sympathie, Zuneigung, ja Liebe. Die Franzosen lieben Camille nahezu bedingungslos - besonders das urbane, gleichermaßen nach Sinn, Progressivität und Authentizität lechzende BoBo-Publikum und intellektuelle Selbstverwirklichungsmilieu. Bei uns ist Camille (noch) in erster Linie als die Stimme von Nouvelle Vague bekannt. Das wird sich mit „Music hole" jedoch ändern - auch wir werden sie lieben. Gibt sie uns doch den Glauben an die instrumentelle Vielfalt der Stimme zurück, ohne in Don't-worry-be-happy-Volkstümelei oder so genannte A-capella-Männergesangsvereinsriten zurückzufallen.

Mehr noch: Nicht nur, dass die Französin nun erstmals auch Englisch singt, sie hat zudem noch Zeugnis ihrer wirklich außergewöhnlichen musikalischen und schöpferischen Phantasie abgelegt. Zwar verkaufte sich bereits ihr letztes Album „Le Fil" überraschend gut, in erster Linie in Frankreich. Doch jetzt hat sie auf "Music Hole" eine Mischung aus Body Percussion, Beatbox, Vokalimprovisation, Loops, Delay und Samples unter hinreißenden Melodien zu neuer Perfektion gebracht.

Aber was heißt hier Perfektion? Das ist ein viel zu schablonenhafter Ausdruck für das, was Camille tatsächlich treibt und signalisiert: Ihr in jedem Stück anders klingender Gesang, ihr Instinkt für Melodien, verschachtelte Rhythmen und diverse Musikstile wie HipHop, Gospel, Soul, den typisch französischen Chanson und sogar klassische Elemente, die sich trotzdem zu einem charakteristischen Ganzen verbinden - das alles ist entwaffnend leidenschaftlich und kess. Bei alledem wirkt die Dreißigjährige so authentisch, klug, entrückt und verschmitzt zugleich, dass es jedem halbwegs Intellektuellen schwer fällt, sich nicht in sie zu verlieben. Dazu verführen nicht nur die Videos zum „Making of" der Platte, die man sich hier über YouTube anschauen kann, sondern auch ihre graziösen und spannenden Live-Auftritte.

In einem etwas spöttischen Beitrag zur kommerziellen Musikindustrie - „Money note" - wagt sie es, einige Diven der Popkultur (und durch hechelnde Quieklaute auch Michael Jackson) herauszufordern.

If Dolly Parton wrote it
and Whitney Houston stole it
if Celine Dion could reach it
i'll hit the money note

Als märchenhaft schwerelosen Größenwahn bezeichnete das Jonathan Fischer in der Zeit - etwas zu Unrecht, denn Camille ist als Künstlerin gefühlte 1000 Meilen weiter als jedes vokale Stimmwunder, das nur brav seine Noten massentauglich in die popkulturelle Sauciere tunkt. Sie schreibt, produziert und singt ebenso kecke wie berührende und mitreißende Lieder und hat dazu noch ein etwas angestaubtes Genre in der modernen Popkultur unpeinlich neu verortet.


Termine:
03.06. Berlin - Postbahnhof
04.06. Hamburg - Fabrik

www.camille-music.com/
Zu kaufen im Popkultur-Shop.