Analoge Offenbarung - JAN DELAY in der Weststadthalle 23/09

SchlipsfunkDigital ist scheiße oder nicht?, fragte Jan Delay irgendwann, irgendwo, irgendwie während des Konzerts in der Essener Weststadthalle. Da gefror dem ein oder anderen das hochgereckte Taschentelefon mit Fotofunktion in den Fingern. Bis dahin wurden alle von Jan an sein Publikum gerichteten Fragen wie Wollt ihr die Show sehen?, Könnt ihr noch?, Kommt hier einer aus Wuppertal?, mit diesem wild-animalischen Gröhlen beantwortet, das im Kontext von Rock-und Popkonzerten Zustimmung bedeutet. Die digitale Frage jedoch löste ein tiefes Grummeln bei den Leuten aus, das mich an meinen alten Kühlschrank erinnerte. Dabei bescherte Delays Digitalabneigung der Menge eine feiste Show mit seiner 10-köpfigen Kapelle Disko No. 1.

Gegen viertel nach neun steigt der arschcoole Hamburger in grauer Anzugshose, schwarzem Hemd, Schlips und Hut auf die Bühne und entschuldigt sein Zuspätkommen mit einem backstage-Krach, dessen Konsequenz ist, dass er seine Band kurzfristig gefeuert hat und er das Konzert in Hiphop-Manier mit Musik aus der Büchse bestreiten wird. Hätte 1Live den Gag nicht bereits am Vormittag im Äther verbreitet, wäre vielleicht ein Grinsen möglich gewesen. Nun wusste man bereits, dass im Verlauf des ersten Stücks die gesamte, schick gewandete Band erscheinen wird, um den Betrieb zu übernehmen.

Der Spaß drohte dem Zuhörer jedoch bald zu vergehen, denn Delay und die Funker von Disko No. 1 spielten das erste Drittel der neuen Platte einfach in der gleichen Reihenfolge wie auf dem Tonträger runter. Die Befürchtung, es geht nun so weiter und der Gig ist nach 45 Minuten beendet, bestätigte sich jedoch nicht. Allerdings auch nicht die geheime Erwartung, umgearbeitete Live-Varianten seiner alten Songs zu hören. Es gab keine Funkversionen von B-Seite oder Vergiftet. Dafür aber Cover von Cameo und den White Stripes.

Kapelle und KapellmeisterEs ist also ein Mix aus Alt und Neu, aus Funk und Reggae, aus Rap und Rave, den der Glatzkopf mitgebracht hat. Die Halle zeigt sich erkenntlich und vergötzte Jan Delay und seine Funkband knappe zwei Stunden. Der allerdings schien oftmals nicht besonders zufrieden mit dem Essener Publikum, das häufig an einfachsten Textzeilen scheiterte, durch die drei Background-Schönheiten aber immer wieder aufgepäppelt wurde. So ist die Stimmung außerordentlich gut als um 11 endgültig Schluss war. Chefstyler Jan schickte die Leute heim mit dem Klassiker Irgendwie, irgendwo, irgendwann, der schon so sehr Jan Delay ist, das vermutlich nur die Menschen mit grauen Zöpfen wissen, wo er wirklich herkommt.

Das Konzept, Rap mit alten Haudegen wie Loomis Green und Jost Nickel an echten Instrumenten zu verbinden, erinnert an die Braunschweiger Jazzkantine, deren live performance ebenfalls immer etwas zu bieten hat. Auch Delays Diskokapelle hat eine fette Schau in der Essener Weststadt abgezogen, die in dem halsbrecherischen Akt von Johnny John, auf dem etwa einszwanzighohen Boxenturm ein Posaunensolo zu spielen, zweifellos ihren Höhepunkt fand. Wow! Insofern hat der dünne Jan sein Theorem bewiesen, dass digital scheiße ist.

Der hausgemachte Funk von Jan Delay und Disko No. 1 kommt übrigens noch einmal in die Nähe des Unruhrgebiets: Am 09.10. im Düsseldorfer zakk.


Fotos: Sonja Niemeier
www.weststadthalle.com

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