WOMEX 2004 auf Zeche Zollverein Essen 30/10/04

Auf dem Weg zum ehemaligen Werkstor unter der mächtigen Silhouette des Fördergerüsts von Schacht XII bekan ich bereits schlechte Laune.

Ich musste an der Kasse anstehen, um ein Ticket für die World Music Expo, kurz Womex, zu erstehen. Zu allem Überfluss vertrieb sich der Typ hinter mir die Zeit damit, eine Bekannte mit Telefonaten zu traktieren, um absolut sicher zu gehen, das die Gute sich bei der Anfahrt keinesfalls verfranst. Mit dem dritten Anruf hatte er sie und mich dem Wahnsinn nahe, und schloss mit dem Tipp, sie müsse „quasi nur dahin kommen, wo der Eingang ist“. An der Kasse war inzwischen Verstärkung angerückt und bald hatte ich das orangefarbene Bändchen am Handgelenk, für eine Nacht Musik in vier Hallen auf vier Bühnen.

Den Auftakt bestritt die Gangbé Brass Band aus dem Benin. Sieben Bläser und vier Percussionisten, die die ehemalige Zentralwerkstatt mit traditioneller westafrikanischer Musik beschallten. Eine Aufwärmübung für das Publikum, die vor allem der bezopfte Mittvierziger in der fair gehandelten, roten Jeans und dem grüngelben Hanfhemd nutzte, um Lektionen aus dem VHS-Kurs Afrikanische Tänze eindrucksvoll zu demonstrieren.

Also gelockert auf in den Gasometer, wo bereits Didier Awadi begonnen hatte, den Zuhörern aktuelle afrikanische Musik in die Gehörgänge zu trichtern. Awadi ist Senegalese, wie viele seiner Landsleute inzwischen in Frankreich beheimatet und sprechsingt. Es schien zunächst auf die spärlich erschienenen Zuschauer befremdlich zu wirken, dass die Jungs da oben das übliche Aussehen und Auftreten des Hiphop adaptiert haben, doch schnell wurde klar, dass man Zeuge einer aufregenden Fusion aus Mbalax, Mandingo und Hiphop ist. Selbst der ebenfalls inzwischen anwesende VHS-Tänzer konnte nach kurzer Irritation seine bekannten Darbietungen fortsetzen. Der Wahlfranzose nebst seinen beiden Hilfsrappern war weit entfernt vom Nachäffen angloamerikanischer Standards, die gerade europäischen Hiphop oft zu an Lächerlichkeit kaum zu überbietendem Gepose macht. Die offenbar globalisierungsresitente kulturelle Identität von Didier Awadi zeigte sich im Einsatz der Kora, eines traditionellen Instruments des Mande-Kulturkreises, ein halber hohler Riesenkürbis mit Stiel und vielen, vielen Saiten, mit dem eine französische Hiphop-Version von Bob Marleys Klassiker Get up, stand up begleitet wurde. Könnt ihr euch Eko Fresh begleitet von einem Zitherspieler Macht kaputt, was euch kaputt macht singend vorstellen? Awadi versäumte nicht, die Bedeutung seiner Texte heraus zu stellen. Deshalb gab es eine A-capella-Version seines Stücks J’accuse. Hat mir nicht viel geholfen, aber das internationale Publikum mit hohem frankophonen Anteil dankte es ihm.

Da die Organisatoren die 45-minütigen showcases zeitversetzt in den einzelnen Hallen beginnen ließen, gab es keine Verschnaufpause. Auf irgend einer Bühne wurde immer gespielt. Zurück in die Zentralwerkstatt. Dort stand bereits Rebecca Malope aus Südafrika auf der Bühne. In ihrer Heimat ein Star, mixt sie Gospel und Mbaqanga, die südafrikanische Popmusik, die Johnny Clegg in den 1980er Jahren in Europa berühmt gemacht hat. Ein krasser Gegensatz zum vorher Gesehenen. Gemein zu sagen, es war langweilig, aber wahr.

Doch was noch folgen sollte, würde dies mehr als kompensieren. In der Kompressorhalle spielte bereits DAAU, Die Anarchistische Abend Unterhaltung. Das Publikum hier saß, das Ambiente war solide in dieser sonst vom Casino Zollverein genutzten Halle, auf der Bühne sah man ein Schlagzeug, einen Kontrabass, eine Geige, ein Cello und eine Klarinette samt Bedienern. Jawohl, das sah nach Abendunterhaltung aus und der prätentiöse Sozialkunde- und Religionslehrer mitsamt Gattin war’s zufrieden. Was dann allerdings von der Bühne hinunter monsterte, durfte einfach nur als anarchistisch bezeichnet werden. Das muss Weltmusikpunk sein! Die fünf Belgier sind klassisch musikalisch ausgebildet, aber offensichtlich bar jeder Manieren. Warum allerdings eine belgische Band einen derart deutschen Namen führt, blieb mir verschlossen. Das muss auch was mit Anarchie zu tun haben.

Mit zu Berge stehenden Haaren ging es wieder in den Gasometer, wo Ba Cissoko aus Guinea eine ähnliche Frisur auszeichnete, weil er seine Dreadlocks zu einer Palme auf seinem Kopf türmte, wie bei uns kleine Mädchen und Aldi-Kassiererinnen. Was Ba Cissoko mit seinen drei Mitstreitern an E-Bass, Percussion und Kora mir auf die Lauscher gab, trug nicht dazu bei, dass sich meine Frisur richtete. Das Konglomerat aus traditionellen Elementen des Mandingo und urbaner Rockmusik grenzte haarscharf an Genialität. Besonders der Koraspieler Sekou Kouyaté, dessen Kora elektrisch verstärkt wurde, nutzte die Effekte, die E-Gitarristen zur Verfügung stehen, um das Auditorium in der inzwischen pickepackevollen Halle 21 rasend zu machen. Dazu drosch der Irrwisch an den Percussions wie ein Berserker unter Missachtung von Halloween auf einen umgedrehten halben Kürbis ein und ersetzte ein komplettes Schlagzeug. Diese nun in Marseille ansässige Band ist ein ganz heißer Tipp, auch für diejenigen, die hinter Worldmusic Räucherstäbchen und Dritte-Welt-Kaffee fürchten. Das Debutalbum Ba Cissokos Sabolan ist wärmstens zu empfehlen.

Derartig reizüberflutet konnte nur der Heimweg helfen, doch nicht ohne noch kurz in der Zentralwerkstatt vorbei zu schauen, um das französisch-libanesische Duo Soapkills zu begutachten: Yasmine und Zeid Hamdan waren sehr lebendig und sahen auch sauber aus. Die Beiden, verstärkt durch ein Saxophon und ein Flügelhorn, verkauften noch mal Neues. Komplett elektronische Beats unterlegen traditionell arabischen Gesang, bereichert durch lässig-jazzige Bläser. Und nicht zuletzt bot Yasmine was für’s Auge! Ich würde bestimmt gut schlafen können.

Den Ausgang, der übrigens mit dem Eingang identisch war, habe ich allein gefunden und dafür belohnte mich der WDR beim Hinausgehen mit einer Plastikrumbakugel.

http://www.gangbebrassband.com/

http://www.soapkills.com/

http://www.daau.com/