Die Tuba. Michel Godard & Cousins Germains im domicil Dortmund. 06/05/2006.

Foto: Enja RecordsEs ist wie immer grenzwertig, einen Abend mit Jazzmusik in Worte zu fassen. Lebt diese Musik doch größtenteils von dem Augenblick der Entstehung und des Werdens von Klang. Und doch fühlt man sich als Schreibarbeiter berufen, diese Augenblicke einzufangen und an einen imaginären Leser weiterzugeben. Nun sitzt Du, ja Du, da vor deinem profanen PC und wartest darauf, dass ich ganz ohne dieses salbungsvolle Intro zum Punkt komme und das Besondere des Konzerts von Michel Godard & Cousins Germains dahinfabuliere.

Es war der zweite Abend des 13. Internationalen Jazzfestivals in Dortmund, den europhonics 2006. Da wir unter unseren Lesern zwar viele Grenzgänger zwischen all den Genres abseits des Mainstream, aber doch auch einige hartnäckig nur auf eine Musikrichtung festgelegte Spezialisten haben, sei noch einmal betont: Dortmund ist ein bedeutender Standort in der Kartographie des internationalen Jazz. Und das haben wir in erster Linie dem domicil zu verdanken, das seit nunmehr über 35 Jahren die Avantgarde und den Jazz nach Westfalen spült, um uns aus der Engstirnigkeit zu befreien. Denn: Jazzmusiker sind oft von musikalischer Perfektion durchdrungene Menschen, die versuchen, ein Instrument zu beherrschen und bis ins Letzte auszureizen. Daraus resultiert ein intellektuell-emotionales Spiel mit dem noch namenlosen Terrain, mit dem Unentdeckten.

Deshalb hat Michel Godard mit der Tuba und übrigens auch deren Vorläufer, dem Serpent, nicht nur vergleichsweise untypische Instrumente über die Grenzlinien geführt, sondern in seiner Musikerlaufbahn gelegentlich auch ungewöhnliche Locations für CD-Aufnahmen genutzt, beispielsweise das Castel del Monte, eine alte mittelalterliche Festung in Italien. Das domicil mag im Vergleich dazu zwar weniger exotisch anmuten, kann jedoch nach seinem Umzug an die Hansastraße immerhin auf einen der makellosesten Konzerträume in der Unruhrzone verweisen. Und so diente es als perfekter Rahmen für die musikalischen Blasausflüge einiger der profiliertesten Musiker in der europäischen Szene.

Michel Godard hat seine „Cousins Germains" um sich geschart, um mit ihnen v.a. die mental-musikalische Nähe zu zelebrieren. Die Cousins sind gewissermaßen Klangbrüder im Geiste (und nicht etwa deutsche Cousins, wie der gewiefte WDR5-Moderator meinte). Dazu gehören: Wolfgang Puschnig an Altsaxofon und Flöte, Christof Lauer an Tenor- und Sopran-Saxofon, Herbert Joos an Trompete und Flügelhorn sowie Wolfgang Reisinger am Schlagzeug.

Die Zusammenarbeit der fünf Ausnahmemusiker entstand am Rande des Festivals Banlieues Bleu und hat sich zu einem der derzeit spannendsten Jazzprojekte ausgewachsen. Gespielt werden Kompositionen aller Bandmitglieder. Godard, der an Körperumfang seiner Tuba in nichts nachsteht, bildet jedoch so etwas wie das musikalische und „familiäre" Mastermind des Projektes. Das strahlt bis auf seine Bühnenpräsenz aus, die einen seltsamen Kontrast aus Volumen und Masse auf der einen und filigraner Spielweise auf der anderen Seite darstellt. Viele der Kompositionen werden durch kaskadierende Tubistensoli und -improvisationen eingeleitet, die schon aus physikalischen Gründen ein Staunen hervorrufen, mehr jedoch noch aus musischen. So entlockt die Spielweise Godards aus diesem eigentlich klobig anmutenden Instrument eine Fülle an Phrasierungen, Modulationen und Variationen, wandeln die einst so dräuende Tuba in ein Instrument changierender Buntheit voller Fantasie.

Meist wandeln diese einleitenden Soli sich dann zu einem wummernden oder gar groovenden Basslauf, der das Grundgerüst des einsetzenden Stückes darstellt. Das hat - Jazzpuristen mögen mir verzeihen - manchmal sogar Dancefloor-Charakter und es fällt dem bewegungsgesteuerten Zuhörer schwer, sitzen zu bleiben. Diese Art, die Tuba für die Basslinien einzusetzen, hat Godard in der Band des aus dem Libanon stammenden Ud-Spielers Rabih Abou-Khalil perfektioniert.

Nichtsdestotrotz hat er die Tuba auch als Soloinstrument geadelt und steht seinen Mitstreitern in Intensität und Tiefe in Nichts nach. Diese prägen die Virtuosität jedes Stückes - durch launische Soli mit Trompete, Saxofonen oder auch Querflöte über dem Tubistenbass, fallen jedoch als Bläsersatz konsequent immer wieder zurück in die zentralen Klangthemen und geben den Kompositionen im entscheidenden Moment die Struktur zurück. Wolfgang Puschnig wechselte während eines Solos auf der Querflöte zwischen dem Einsatz der eigenen Stimme und dem Instrument und erzielt damit fast jodelähnliche Effekte, Christof Lauer spielte auf seinem Saxofon ein Intro, das den Beton zum Schmelzen brachte. Um es kurz zu sagen: Ganz großes Klangkino.

TubaMit jedem Stück wächst die Zahl der Bilder und Assoziationen, die diese Künstler durch den Saal projizieren: Sur l'échelle des sphères, Luna Nera, Cross Culture, Pastorale, Deep Memories, Le feu et l'eau. Augen schließen und wegtauchen, suchen nach der Leidenschaft des musikalischen Grenzgängers.

Und bei allem gar nicht erst den Versuch machen, diesen Jazz in Worte zu fassen.

Übriges auch als Tonkonserve erhältlich:
*Michel Godard & Cousins Germains. Creazioni Artistiche Musicali / CAM Jazz (Italy) CAMJ 7770-2 [CD] (2005).

http://michelgodard.fanspace.com/index.html 
http://www.domicil-dortmund.de/

Foto: Enja Records