The Blood Arm: Großes Kino!

Nathaniel FregosoNathaniel Fregoso ist verliebt. Bernadette, die schöne Wienerin, hat am vorigen Abend sein Herz gestohlen. Die schönste Frau der Welt! Nein, Moment, die zweitschönste, hinter seiner Mutter. Wenn diese das Interview lese, müsse er so zitiert werden. Ihr Deutsch sei nämlich fließend. Wäre der extrovertierte Bandleader von The Blood Arm Pinocchio, hätte seine Nase bereits in den ersten zwei Minuten des Interviews beträchtlich an Länge gewonnen.

So fällt es denn auch im weiteren Verlauf des Gesprächs schwer, Wahrheit und Dichtung auseinander zu halten. Ein Problem, mit dem man ständig konfrontiert wird, wenn man sich mit der Band aus Los Angeles, der Stadt des Scheins und der großen Kulissen, näher auseinandersetzt. Schon beim Durchlesen der Biografie, die man auf ihrer Webseite findet, wird man Absatz für Absatz herausgefordert ohne Zuhilfenahme der Wahrscheinlichkeitsrechung die Fakten von der Fiktion zu trennen.

Man fühlt sich wie bei der unsäglichen, aber dennoch unterhaltsamen Fernsehserie „X-Factor: Das Unfassbare", in der Jonathan Frakes alias Commander Riker aus „Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert", den Zuschauer am Ende mit dem Unterton des Mysteriösen immer zu einer Entscheidung drängt: „Ist es möglich, dass Nathaniel Fregoso Drilling ist und sich rücksichtslos eine Monopolstellung am Busen seiner Mutter erkämpfte?" Finsterer Blick und ein Hochziehen der Augenbraue. „Nein, von mir gibt's nur einen", ist die lachend hervorgebrachte Antwort. Einer beiläufigen Bemerkung seiner Bandkollegin Dyan Valdés entnehme ich, dass dies wohl auch besser so ist, begehe aber dennoch den Fehler ihn zu fragen, ob das dann eher als Dreifaltigkeit zu interpretieren sei. „Setz ihm da mal bloß keinen Floh ins Ohr!", ereifert sich die hübsche Keyboarderin.

Dyan ValdésAha, meine Vermutungen scheinen sich mehr und mehr zu bestätigen, denn obwohl er sich nicht dazu äußern will („No comment!") beantworte ich mir selbst die Frage, ob er der von sich selbst besungene „Suspicious Character" sei, nach Dyans Aussagen mit einem klaren „Ja". Wenn es um seine Bandkollegen geht, ist Nathaniel jedoch weniger zimperlich, die Biografie zu verifizieren:

Der Part über die männliche Prostituierte ist bestimmt wahr, oder?
N: Die männliche Prostituierte? Oh ja, klar!
Dyan (zu Zac): Da steht, dass du eine männliche Prostituierte warst.
N: Er wird eine werden. Wir verkaufen demnächst keine T-Shirts mehr, sondern Zac.

Dann läuft das Geschäft bestimmt besser.
N: Bestimmt. (zu Zac) Aber du solltest schon deinen Preis haben. 50 Euro? 10 Euro.

Das ist ja gar nichts!
N: Hättest du vielleicht Interesse?

Ehm, ich steh nicht wirklich auf Prostituierte.
N: Nein? Wie sieht's mit Drummern aus?

Das ist schon was anderes. Wie wär's mit einem trommelnden Prostituierten? Dafür könntet ihr sicher einen noch besseren Preis aushandeln.
N: Wir sind noch auf der Suche nach einem Titel für unser neues Album. Deswegen wollen wir das Publikum nach Vorschlägen fragen und haben dann am Ende hoffentlich einen. Ihr müsst uns also heute helfen, einen guten Albumtitel zu finden. Der Gewinner bekommt dann Zac.

Zachary AmosDer arme Zac verhält sich während des gesamten Schlagabtauschs bemitleidenswert passiv, was darauf schließen lässt, dass er solche oder ähnliche Situationen schon gewohnt ist. Doch weniger der Preis als der Grund für das angekündigte Gewinnspiel richtet meine Aufmerksamkeit auf ein Thema, das ich sowieso schon Ansprechen wollte (übrigens war das Publikum später enttäuschend unkreativ und hat wenig zur Titelfindung beigetragen).

Ihr wart ziemlich lange in der Versenkung verschwunden, was ist in den letzten drei Jahren denn so passiert?
N: Wir haben an einem neuen Album gearbeitet, aber das hat nicht wirklich drei Jahre gedauert. Wir sind irgendwie in Plattenlabellogistik hängengeblieben. Langsam kommen wir da aber raus. Im Moment sind wir dabei, das neue Album fertigzustellen, das hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen wird.

Wie wird es sich anhören.
N: Ziemlich gut. (Gelächter) Es hört sich an, als würden deine Ohren massiert. Es klingt sehr amerikanisch. Wir wurden ja in der Vergangenheit viel mit britischen Bands verglichen.

Das erste Album klang ja auch sehr britisch.
N: Ja, jetzt singe ich alle Lieder im Country-Stil, wie Hank Williams. Nein, aber ich denke, es hört sich diesmal sehr amerikanisch an, sehr nach Los Angeles...

Wie die Beach Boys, Surf Rock.
N (lacht): Ja, Surf Rock, The Mamas And The Papas. Es gibt ein Lied auf Spanisch. Ich bin wirklich schon gespannt wie die Leute es aufnehmen werden.

Country-Stil, Surf Rock? Da ist sie wieder, diese Ungewissheit. Doch zur Abwechslung folgen endlich einmal belegte Tatsachen:

Ihr habt Deutschland dieses Jahr fast zu eurer zweiten Heimat gemacht, ihr wart sehr oft hier.
N: Ja, wir waren hier zur „Jägermeister Rock Liga Tour", bei der wir natürlich ins Finale gekommen sind. Das findet am Samstag in Berlin statt.

Genau. Wer wird gewinnen?
N: Wir! (lacht) Zac hatte die Idee, mit Konfettikanonen goldenes Konfetti ins Publikum zu schießen. Aber wir durften nicht, weil sie wussten, dass wir sowieso schon im Vorteil waren und die Konfettikanonen den anderen gar keine Chance mehr gelassen hätten. Jetzt müssen wir also die Show so spielen.

Aber ihr seid ja professionell, also sollte das auch auf die Art funktionieren.
N: Ja, ich denke auch. Wir werden einander in Stücke schneiden und unsere Körperteile ins Publikum werfen.

Gut, dann war's auch schon wieder vorbei mit der Ernsthaftigkeit. Aber das Wort „Ernsthaftigkeit" im Zusammenhang mit The Blood Arm zu nennen, wäre ohnehin ein Paradoxon. Die Jungs und das Mädel sind weit davon entfernt, sich selbst ernst zu nehmen, was sie unglaublich sympathisch und ihre Bühnenshow zu einem Erlebnis macht. Übrigens hat es mit dem Titel diese Mal leider nicht geklappt. Das Hirschgeweih ging an Friska Viljor aus Schweden, die zugegebenermaßen auch sehr genial sind (und hier geht's zum Interview mit den Jungs).

Nathaniel auf der BarSpäter werde ich Zeugin davon, wie Nathaniel ein gesamtes Lied vom Publikum auf Händen getragen oder auf der Bar tanzend bringt, einem Zuhörer den Barkeeper mimend Hochprozentiges einflößt und sich mitten in der Menge niederlässt und auch alle Umstehenden dazu bringt, sich für „Angela" ein gemütliches Plätzchen auf dem Boden zu suchen.

Auch während des Interviews treten die komödiantischen Fähigkeiten des Hollywoodianers klar zutage. Denn nachdem die Band nach meiner Bemerkung, ihre Musik ließe in meinem Kopf Bilder von frühen Slapstick-Komödien mit Buster Keaton vorbeiziehen, in schallendes Gelächter ausbricht, meldet sich der Sänger erst zu Wort und legt dann eine wunderbare Chaplin-Imitation hin.

N: Das ist ein tolles Kompliment! Ich meine: Das ist ein Stummfilm! (noch lauteres Gelächter) Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich liebe Buster Keaton. Manchmal fühle ich mich auch wie Charlie Chaplin in „The Tramp", wo er das Ding mit den Brötchen macht.

Nathaniels Chaplin-ImitationAn diesem Punkt nimmt er zwei umher liegende Gabeln, spießt mit ihnen zwei Äpfel auf und vollführt einen kleinen Tanz. Doch nicht nur vor der Kamera würde er eine gute Figur machen, auch dahinter hat er bereits in seiner Tätigkeit als Filmstudent reichlich Erfahrung gesammelt.

Machst du auch noch etwas in der Richtung?
N: Ich schneide gerade eine Dokumentation. In meiner „Freizeit" habe ich immer wieder in der Filmindustrie gearbeitet.

Worum geht's in dem Dokumentarfilm?
N: Es geht um eine Einrichtung in Syrien, in der Mädchen den Koran lernen. Also ziemlich leichte Kost (lacht). So was mache ich in meiner Freizeit.

Die Behandlung solcher Themen lässt auf einen nicht geringen Teil Idealismus schließen, der allem Tun Nathaniel Fregosos und seiner Mitstreiter zugrunde liegt. Daher meine letzte Frage:

Wofür wäre es wert zu kämpfen, auch wenn man sich dadurch einen blutigen Arm holt?
N: Das Ding ist: Derjenige, mit dem ich kämpfen würde, hätte am Ende den blutigen Arm (lacht). Wofür würde es sich lohnen? Für Bernadette, die Österreicherin, die ich gestern getroffen habe. Aber vielleicht lerne ich heute schon wieder eine andere kennen.

Da ist er wieder, der „Suspicious Character".   

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