Get Well Soon: gesamtkunstwerkliche Inszenierung der Melancholie

Konstantin GropperGet Well Soon ist nicht nur ein beliebter Spruch auf amerikanischen Genesungswunschkarten, sondern auch das musikalische Projekt des 26-jährigen Popakademieabsolventen Konstantin Gropper. Der Multiinstrumentalist, der auf seinem Anfang dieses Jahres erschienenen Debütalbum „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon" nahezu alle Instrumente höchstselbst eingespielt hat - im heimischen Schlafzimmer - ist derzeit im Lande unterwegs, um seine aktuelle Weihnachts-EP „Songs Against The Glaciation" vorzustellen.

Unterstützt wird er dabei von einer sechsköpfigen Band, die sich aus Familienmitgliedern (seine Schwester Verena, übernimmt Geige, Glockenspiel und Zimbel und sein Cousin Sebastian, steuert Trompete, Xylophon und Gitarre bei) und Freunden zusammensetzt. Von der Kritik in den höchsten Tönen gelobt („Ein pastorales Stück Indie-Unvergänglichkeit." Musikexpress; „25-year-old German is startlingly talented." Uncut) scheint er zum Retter der deutschen Indieszene auserkoren worden zu sein.

Was Konstantin Gropper selbst dazu zu sagen hat, was er in seiner Freizeit trägt und wie er deutsche Musikjournalisten im Vergleich zu ihren französischen Kollegen sieht, hatte ich die Möglichkeit in einem Gespräch mit ihm zu erfahren.


Dein Debütalbum ist ja jetzt schon fast ein Jahr draußen. Wenn du auf die Zeit seitdem zurückblickst, was ist dein erstes Resümee?

Konstantin: Es war ein sehr anstrengendes Jahr, aber auch im guten Sinne. Wir haben viel gespielt, hatten fast immer volle Konzerte, das Album lief super. Es war durchweg positiv.

Du hast ja, bevor dein Album überhaupt herausgekommen ist, von diversen Magazinen schon ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen.

K: Ein bisschen, ja. Aber der Hauptansturm kam dann wirklich erst, als das Album schon draußen war. Es war zwar vorher schon Aufmerksamkeit da, aber nach dem Erscheinen des Albums war sie wirklich enorm. Ich hätte nie gedacht, aus welchen Richtungen diese Aufmerksamkeit kommen könnte.

Zum Beispiel?

K: Platte des Monats in der Elle. Auch lustig: Am gleichen Tag war ich ein Tipp in der TAZ und der Bild.

Das schafft auch nicht jeder.

K: Ja, ist auch ein bisschen beunruhigend.

Wie geht man damit um, wenn es plötzlich so auf einen niederprasselt.

K: Ich habe mich eigentlich gefreut. Ich hätte zwar nie gedacht, dass es so groß wird, aber es ist ja schön. Das stürzt einen ja nicht in eine Krise.

Get Well SoonIn einem Interview von vor einem Jahr wurdest du gefragt, wie du die momentane Situation der Musikindustrie und der Künstler siehst, und du meintest, man solle dich das noch mal in einem halben Jahr fragen. Da dachte ich mir: Jetzt frag ich dich das doch noch mal, denn da hat sich ja einiges getan in den letzten Jahren, besonders bei den großen Labels, bei denen es nicht mehr so läuft.

K: Bei mir persönlich hat das ja auf dem „klassischen" Weg sehr gut funktioniert. Wobei ich gestern in der Intro ein Interview mit meinem Plattenchef gelesen habe, in dem er sagt, dass man sich heutzutage als Indie-Plattenchef nur noch fragen kann: „Wie lange noch"? Ich hoffe, er hat das jetzt nicht auf mich bezogen (lacht).

Du wurdest ja relativ früh schon als „Indiewunderknabe" bezeichnet. Wie geht man mit so einem Titel um, der einen gewissermaßen auch in eine Kategorie steckt.

K: Solange ich mich nicht selbst in so eine Kategorie stecke und dann gefragt werde: „Und, was ist jetzt?", ist das in Ordnung. Das wird mir ja immer nur unterstellt.

Manche Künstler wehren sich vehement dagegen, einem besonderen Genre zugeordnet zu werden.

K: Gegen Indie habe ich nichts, und eigentlich ist das ja auch kein Genre. Es ist tatsächlich mittlerweile zu einem geworden, aber eigentlich kommt das von „frei", und das ist eher ein Kompliment.

Du bist der erste wirklich ausgebildete Musiker, den ich interviewe. Gehst du möglicherweise analytischer oder technischer ans Songwriting ran, als jemand, der das nur aus reiner „Passion" macht?

K: Ich würde sagen, dass ich auch analytisch an die Musik rangehe, ja. Ob das jetzt wirklich mit meiner Ausbildung zu tun hat, weiß ich nicht, vielleicht eher damit, dass ich schon immer mit Musik zu tun hatte. Das kann man positiv und negativ sehen. Manche Leute sagen, Popmusik dürfe man nicht analytisch sehen. Das halte ich für Blödsinn. Da wird man immer zu Unrecht dumm gehalten. Manche sagen z. B.: „Was hat das denn noch mit Authentizität zu tun, wenn der weiß wie die Akkorde heißen, die er spielt." Aber so schlimm ist das jetzt bei mir auch nicht. Es kann ja nicht schaden, wenn man weiß, was man da macht. Aber ich denke sowieso, dass, wenn sich jemand längere Zeit mit Musik beschäftigt, das automatisch analytisch ist. Das hat gar nichts mit der Ausbildung zu tun. Jeder, der sagt, er ginge nicht rational ran, der lügt. Man entwirft seinen eigenen Stil und versucht den dann beizubehalten.

Du hast Songwriting auch mal als in gewisser Weise einer Therapie sehr ähnlich beschrieben. Ist da jemals ein Teil deines Selbst zutage getreten, den du lieber hättest schlafen lassen?

K: Ich schätze mal, dass es wirklich eine Art Therapie ist. Ich denke, es wäre ungesünder, wenn ich nicht schreiben würde. Aber so richtig aktiv als Therapie habe ich das für mich noch nie gemacht, wahrscheinlich, weil ich mittlerweile schon seit zwölf Jahren Songwriting betreibe. Ob ein Teil von mir zutage getreten ist, den ich nicht mag? Es wird ja oft gesagt, meine Musik sei melancholisch und düster, aber das ist nichts, was ich beabsichtige. Das ist etwas, was einfach dabei heraus kommt. Vielleicht ist das ja schon so was, vielleicht ist das ja meine Natur. Ich hätte aber auch kein Problem damit, wenn da auch mal eine Mallorca-Hymne dabei herauskommt, zumindest von der Stimmung her. Manche Leute sagen, sie müssten Songs schreiben, um sich selbst aufzumuntern, bei mir ist das eher anders herum. Man schreibt sich da ja eher was von der Seele.

Aber du bist nicht so ein kleiner, junger Werther, der extrem leidet und deswegen melancholische Songs schreibt?

K: Nein, wahrscheinlich eher anders herum: Ich leide nicht, weil ich die Songs schreibe. Ein Ventil sozusagen. Normal laufe ich übrigens immer in Hawaiihemden rum, Sangria saufend.

So in eineinhalb Liter Flaschen.

K: Ja, klar. (schmunzelt)

Du solltest Get Well Soon einmal als Farbe beschreiben und meintest, es wäre ein „verblasstes Gold", der „Glanz vergangener Tage", was ich sehr passend finde. Eure Videos z. B. spielen ja alle nicht im Hier und Jetzt, sondern eines ist gestaltet wie ein Stummfilm („If This Hat Is Missing I have Gone Hunting"), das neueste zu „Listen! Those Lost At Sea, Sing A Song On Christmas Day" erinnert extrem an den Film „Das Boot", alles ist eher so in den 20er oder 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zu verorten. Auch euer Artwork und die Fotos haben den Charme vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Ist das eine Epoche, zu der du dich besonders hingezogen fühlst?

K: Zur Epoche von „Das Boot" eher nicht, zur Jahrhundertwende vielleicht schon irgendwie.  Denn, wenn ich mich damit beschäftige, habe ich das Gefühl, dass Kunst zu dieser Zeit noch viel mehr Teil des täglichen Lebens war und auch noch ernst genommen wurde. Heutzutage kann man nichts mehr machen, ohne dass es ironisch oder postmodern ist. Damals war Kunst noch existentiell, und das ist etwas, was mich an dieser Zeit fasziniert. Aber das mit der Farbe... Ich hoffe nicht, dass ich jetzt darauf festgenagelt werde (lacht). Aber, wenn ich es noch mal gefragt würde... Es würde schon passen.

Get Well SoonWo du schon das Thema Kunst zur Sprache bringst: Du bist dann auch eher der Auffassung, das Musik eher Kunst ist als nur reines Unterhaltungsmedium? Auch bezogen auf heutige Pop- und Rockmusik?

K: Musik ist unbedingt auch Kunst und nicht nur reine Unterhaltung, aber das würde ich nicht generell auf die heutige Popmusik beziehen. Ich glaube nicht, dass man das nur in Klassik oder Pop einteilen kann, aber ich glaube, dass es diese Teilung in E- und U-Musik immer noch gibt. Ich glaube, dass es viele Leute im Popgeschäft gibt, die nichts anderes wollen als unterhalten. Sobald man in diesem Umfeld tätig ist, wird man immer in diese Ecke gestellt. Nur unterhalten hat in meinen Augen keinen Sinn, es ist doch viel schöner, wenn einen Musik auch nachhaltig beeindruckt.

Nicht wie Popcorn-Kino, was leicht verdaulich ist, sondern eher ein Arthouse-Film, mit dem man sich auch noch länger geistig auseinandersetzen kann.

K: Genau, beim Kino gibt es ja auch E und U.

In Frankreich hatte dein Album eine relativ hohe Chartplatzierung. Denkst du, dass die Franzosen mit ihrer Tradition des Chansons, das ja auch eher einen künstlerischen Anspruch hat, einen besseren Zugang zu deiner Musik haben?

K: Ich weiß nicht, ob das direkt mit dem Chanson zu tun hat, aber ich habe schon festgestellt, dass sie viel eher von diesem Kunstaspekt aus an Musik herangehen. Das merkt man auch bei Interviews. Also jetzt nichts gegen deutsche Journalisten (lacht), aber im Schnitt ist es schon etwas intellektueller.


Sehr amüsant war an dieser Stelle, wie unangenehm Konstantin sein freudscher Lapsus war und er sich versuchte herauszuwinden. Aber leider hat er ja zum großen Teil auch Recht mit seiner Aussage. Ich hoffe, dass ich mit den folgenden Fragen seine Meinung über die deutsche Journalistenzunft doch etwas relativieren konnte.


Wenn ich Get Well Soon in einem Wort zusammenfassen sollte, würde ich sagen „Inszenierung".  Welches wäre es bei dir?

K: Ein Wort ist schwierig. Ich glaube, ich weiß, was du mit „Inszenierung" meinst. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Sag doch mal.

Also, die Referenzen, die du anführst - Richard Wagner, David Lynch, Edward Hopper, Gregory Crewdson, Luchino Visconti - verbindet vor allem eins: die Inszenierung. Natürlich wird in den Kunstformen, in denen sie arbeite(te)n, immer inszeniert, aber bei ihnen geschieht das noch auf einer anderen Ebene. Wagner führt das sogar noch weiter mit seinem Konzept des „Gesamtkunstwerks". Wenn ich mir dein Werk anschaue, habe ich auch das Gefühl von einer Gesamtheit, dass da alles zusammenpasst, Musik, Artwork, Fotos usw., was man ja auch mit dem Terminus „Gesamtkunstwerk" bezeichnen könnte. Ist das denn ein Ansatz, mit dem du dich identifizieren kannst oder sogar ein Anspruch, den du an deine Arbeit hast?

K: Ja, wobei ich das noch ein bisschen anders sehe. Die Art wie ich die Songs schreibe, hat schon etwas mit Inszenierung zu tun, weil ich versuche, auf den verschiedenen Ebenen der Songs eine Stimmung einzufangen und zu konstruieren. Oder inszenieren? Das Ganze hat dann auch eher etwas von einem Bild.

Gett Well SoonIch weiß ja nicht wie das bei dir ist, wenn du einen Song schreibst, aber läuft da ein Film vor deinem geistigen Auge ab? Wenn ich deine Lieder höre, sind sie wie der Soundtrack zu einem Kurzfilm.

K: Nicht ganz so, aber ich habe schon relativ früh eine konkrete Vorstellung davon, wie es nachher klingen soll, was das Arrangement, Einflüsse und Sounds angeht. Von daher kann man schon sagen, dass ich die Songs in ihrem Gewand inszeniere. „Inszenierung" ist ja auch eher ein Unwort im Popkontext, aber ich finde es nicht schlecht.

Das Konzept des Gesamtkunstwerks ist in der Romantik entstanden, in der Themen wie Naturverbundenheit und Melancholie in den verschiedenen Kunstformen weit verbreitet waren. Diese Themen findet man auch in deinen Texten wieder. Bist du künstlerisch ein Romantiker?

K: Künstlerisch glaube ich schon. Noch am ehesten. Als Mensch nicht so richtig. Wobei, wenn man es auf die grundlegenden Aspekte dieser Epoche der Romantik bezieht doch. Also nicht unbedingt die Naturverbundenheit (lacht). Obwohl heutzutage der Begriff „Romantik" anders verwendet und verweichlicht wird. In dem Sinne bin ich kein Romantiker, aber im ursprünglichen kann man das schon so sagen.

Lustigerweise bearbeite ich in meiner „normalen" Arbeit gerade die Biografie von Phil Spector (Konstantin lacht), dessen Markenzeichen die „Wall of Sound" war, eine Art bei Songs viele Spuren übereinander zu legen, um einen volleren, satteren Sound zu erzeugen. Da habe ich sofort an deine Musik denken müssen, denn die ist auch ein fest gewebter Klangteppich.

K: Sie funktioniert ja tatsächlich auch ähnlich. Dieses Übereinanderlegen mache ich auch. Bei meiner Musik gibt es nie nur eine Spur zur selben Zeit. Ich verwende ein Schichtverfahren, und das hat er ja auch so gemacht. Er hat alles doppelt und dreifach aufgenommen und zusammen gemischt. Er hat das damals so entwickelt, weil es der technische Stand war, und bei mir ist das immer noch so, weil ich zuhause aufnehme.

Würdest du sagen, dass du dich durch seine Art aufzunehmen inspiriert gefühlt hast, oder ist es bei dir ganz natürlich gekommen?

K: Es ist teils Absicht, teils Unfall. Das ergibt sich einfach auch durch diese Arbeitsweise, glaube ich. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass es bei ihm auch so gelaufen ist. Er hat versucht, das Zeug so zusammen zu mischen und hat festgestellt, dass es funktioniert. Dadurch hat er diese Ästhetik entwickelt. Bei mir ist es ähnlich: Dadurch, dass ich alles nacheinander aufnehme, wird es dann irgendwie voll, und am Schluss muss ich eher was wegnehmen. Und ich mag auch diese Opulenz, das ist so mein Geschmacksstil.

An wen würdest du heute den Wunsch „Get Well Soon" richten?


Verena GropperKonstantin wendet sich an seine Schwester und fragt: „Wie geht's ihm?" Das bezieht sich auf seinen Cousin, der verschnupft auf einem Sofa vor seinem Rechner hockt. Konstantins nachgefragtes „Besser?" in stark schwäbischem Einschlag scheint diesen nicht als Kandidaten für den Genesungswunsch zu qualifizieren. Oder doch?


K: Der Sebastian, unser Trompeter, war gestern ein bisschen krank. Mir ging es gestern auch nicht so gut, aber heute ist es schon besser.


Wie war das noch mal mit der postmodernen Verweichlichung der Romantik?

Beim anschließenden Konzert fühle ich mich in meinem Vergleich mit dem Wagnerschen Konzept des Gesamtkunstwerks erneut bestätigt: Die Decke im Zuschauerraum ist mit riesigen weißen Ballons geschmückt, die während der Show abwechselnd rot oder blau aufleuchten, die Bühne mit Lichterteppichen und Paravents im Fin-de-siècle-Stil ausstaffiert.

Get Well SoonAls besonderes Gimmick hängt an der hinteren Bühnenwand ein barocker Bilderrahmen, in den Videobilder projiziert werden, die thematisch dem Motto („Christmas in Adventure Parks") angepasst sind (Schneelandschaften mit Wildschweinen und Rehen, was wieder die Brücke zur Romantik begehbar macht), an frühe Werke von Méliès erinnern und Live-Bilder der Bandmitglieder zeigen, Nahaufnahmen, die mit einem überlagerten Marmoreffekt verfremdet werden und so scheinbar bereits filmgeschichtliche Patina angesetzt haben, während sie noch passieren. Alles arrangiert vom Regisseur Philipp Kaessbohrer. So viel zum Thema „Inszenierung".

Die eher ruhigen Songs des Debütalbums und der gerade erschienen Weihnachts-EP bekommen live eine wahnsinnige Dynamik, die durch das sehr körperbetonte Agieren des Protagonisten und einiger seiner Mitmusizierenden noch unterstrichen wird. Zwar fängt niemand im Publikum an zu Moshen, aber man registriert allerorts heftiges Kopfnicken und Fußzucken.

Als beim letzten Lied vor der Zugabe noch eine Fontäne künstlichen Schnees auf Konstantin niedergeht, befindet man sich endgültig nicht mehr in einem kleinen, stickigen Club, sondern einem Winterwunderland, das einem versichert: Everything will Get Well Soon!

http://www.youwillgetwellsoon.com/

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