Mystery Jets: Insulaner in 80er Jahre Hippie-Tradition

Mystery JetsAuf einer Insel auf einer Insel (nein, das ist keine versehentliche oder gar sinnfreie Wiederholung, auch handelt es sich hierbei nicht um eine bewusst verwendete Repetitio, sondern es beschreibt den tatsächlichen Herkunftsort der Band, mit der sich die folgenden Zeilen beschäftigen) aufzuwachsen, kann in kreativer Hinsicht nicht ohne ernsthafte Folgen bleiben. Bestes Beispiel hierfür ist die junge britische Band Mystery Jets, deren Musik so eklektisch ist wie die von ihr verwendeten Objekte zur Klangerzeugung, zu denen Pfannen, Töpfe, Radkappen und bisweilen auch Boote gehören.

In dem vom kalten, strengen Licht diverser Leuchtröhren gefluteten Backstageraum des Münchner Zeniths sitzt Blaine Harrison, Sänger der ehemals fünfköpfigen, seit einiger Zeit jedoch um einen Kopf kürzeren Band von Eel Pie Island, einer kleinen, in der Themse gelegenen Insel und hat es sich wohl zur Mission gemacht, irgendwie Farbe in die monochrome Einöde zu bringen. Und das mit allen Mitteln. Das von ihm gewählte: ein 80er-Jahre Palettenjanker in allen Regenbogenfarben mit XXL-Schulterpolstern, darunter ein mit Goldfäden durchwobenes hautenges Longsleeve. Not very easy on the eye, aber perfekt ins Bild passend, gräbt man ein wenig tiefer.

Henry HarrisonAuf einer Couch neben ihm sitzt zu meinem Erstaunen Claus Theo Gärtner, der Matula aus der beliebten ZDF-Serie „Ein Fall für Zwei". Auf den zweiten Blick erkenne ich in ihm allerdings Henry Harrison, Blaines Vater. Doch das Erstaunen bleibt. Hatte ich nicht gelesen, dass er, nachdem er sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, nicht mehr mit auf Tour geht? „Ich bin als Maskottchen dabei", ist seine Erklärung für seine Anwesenheit. Außerdem ist und fühlt er sich immer noch als ein Teil der Band. Er ist noch aktiv am Songwriting beteiligt, was besonders jetzt seine Begleitung bei der Tour so wichtig werden lässt: „Im Moment steuern wir auf unser drittes Album zu. Wir haben schon alle Ideen zusammen und wissen, in welche Richtung es gehen soll. Dass wir in dieser Phase alle zusammen sind, macht einen riesigen Unterschied."

Eine interessante Information, doch will ich erst einmal über ihr aktuelles zweites Album „Twenty One" sprechen, das im April dieses Jahres erschienen ist. Der Titel ist eine Anspielung auf das Alter, in dem sich die meisten Bandmitglieder (ausgenommen natürlich Henry) gerade befinden. Ein „Coming-Off-Age"-Werk, dessen Lieder hauptsächlich vom Erwachsenwerden und der Liebe handeln. Blaine sieht in diesen Themen eine besondere Herausforderung: „Es ist ein sehr autobiografisches Album. Wir haben alle unsere Erfahrungen in die Platte eingebracht. Sich zu verlieben oder das Herz gebrochen zu bekommen, sind Dinge, die jedem passieren und über die schon sehr viele Lieder geschrieben worden sind. Das Interessante daran ist, es so zu schreiben, wie es noch nie geschrieben worden ist. Diesen Dingen ein neues Vokabular zu geben."

So vielfältig mit dem Thema „Liebe" umgegangen werden kann, so vielfältig ist auch die Klangwelt, die sich auf dem Zweitling der Band vor dem geistigen Auge des Hörers entfaltet. Zahlreiche Referenzen blitzen mal sehr deutlich - der Track „Hideaway" erinnert unverkennbar an die Klaxons - oder etwas subtiler - bei „Hand Me Down" meine ich in Teilen The Cure herauszuhören - zeitgenössische oder klassische Vertreter der verschiedensten Genres durch. Das weiß der Sänger damit zu erklären, dass jedes Bandmitglied einen anderen musikalischen Background aufweist. So möge Gitarrist William Rees eher Disco, wogegen Drummer Kapil Trivedi aus der Hip Hop-Ecke komme. „Bei diesem Album wollten wir einfach alles etwas näher zusammenbringen." Wer da die Oberhand gewonnen hat, ist unschwer zu erkennen, denn so vielseitig die Lieder auch sein mögen, es gibt einen gemeinsamen Nenner: eine eindeutige Affinität zur Musik der 80er.

Henry Harrison und Kai FishNicht das nahe Liegendste, denn in ihrem Alter sind sie wohl kaum Kinder dieser popkulturellen Epoche. Hier schaltet sich Kai Fish, der Bassist, ein, der vor Kurzem den Raum betreten hat und wie sein Kollege ein schillerndes Etwas aus Paletten trägt, darunter jedoch nicht dem Stil entsprechend ein senfgelbes Poloshirt: „Wir haben die 80er in den letzten Jahren für uns entdeckt. Vorher waren wir mehr von den 60ern oder 70ern beeinflusst. Wir wussten nicht so viel über diese Zeit und entdeckten sie nach und nach." Scheinbar haben sie den Stil des „Jahrzehnts des schlechten Geschmacks" sehr schnell adaptiert und auf ihre ganz eigene Art gemeistert. Nach dem Motto „Alles kommt irgendwann wieder" sind die Mystery Jets nicht die einzige Band, die seit letztem Jahr die Sounds der 80er entstaubt und für sich nutzt. Was macht diese Ära so interessant? „Das Spannende an dieser Zeit war, dass es ein Jahrzehnt der Stämme war. Die New Romantics hassten Techno, die Leute, die auf Raves gingen, hassten Chant Music. Aber alle bestanden nebeneinander, und das ist beeindruckend. Und es macht Spaß sich aus dieser Auswahl Ideen herauszupflücken."

Heute, wo die Musiklandschaft weniger Grenzen aufweist und es - so meint man - so etwas wie ein musikalisches „Schengener Abkommen" gibt, das es den Kreativen ermöglicht, Ausflüge in alle erdenklichen Genres zu unternehmen, sich von überall Souvenirs mitzubringen und mit ihnen ihre ganz persönlichen Setzkästen zu bestücken ohne, dass ihnen musikalische Fremdgängerei vorgeworfen wird, sind es scheinbar nur noch die Labels und die Medien, die an alten Kategorisierungsschemata festhalten, um die Erzeugnisse besser an den Mann zu bringen. Schon bei ihrem Debütalbum „Making Dens", das 2006 das Licht der Welt erblickte, war es schwierig, dem Kind bezüglich seiner Stammeszugehörigkeit einen Namen zu geben. Blaine zufolge hat das damit zu tun, dass sie „so viele verschiedene Bands auf einmal sein wollten: The Coral, The Smiths, Pink Floyd..." Beim Nachfolger hatten die Mystery Jets eine viel klarere Vorstellung, von dem, was sie wollten: „Statt fünf Bands in einem Lied zu vereinen, kann man es auch auf das gesamte Album verteilen."

William ReesLangsam fängt es an, in dem kleinen, grellen Raum richtig gemütlich zu werden, denn als weiteres Bandmitglied stößt nun auch Gitarrist William frisch geduscht und ebenfalls unsäglich gekleidet zu uns. Er bringt sich dann auch direkt mit einer Wortmeldung ins Gespräch ein, als ich auf ihre ehemalige Heimat Eel Pie Island (ehemalig, da die Jungs mittlerweile dem Ruf des englischen Festlands gefolgt sind und die Insel verlassen haben) und die dort in den 60er und 70er Jahren ansässige Hippie-Kommune zu sprechen komme. Ob diese denn eine Inspiration für die Band gewesen sei, will ich wissen. Das sei sie auf jeden Fall gewesen, meint er. Blaine relativiert jedoch das Ganze: „Es war so lange eine Inspiration, bis die anderen Bewohner sich gegen uns verschworen und unsere Partys verboten haben." Darüber hatte ich tatsächlich gelesen. Den Jungs wurde es z. B. untersagt, ihre Bandproben im Garten des elterlichen Anwesens abzuhalten. Auf den Sänger wirkt diese Situation recht paradox, denn die meisten der dort Ansässigen seien gerade wegen seiner freigeistigen Geschichte von diesem Ort angezogen worden und nun, da sie eben in diesem Sinne ihr eigenes Ding machen wollten, sei ihnen so viel Ressentiment entgegengebracht worden.

„Ihr eigenes Ding durchziehen" ist das perfekte Stichwort für meine nächste Frage:

Hat die Tatsache auf einer Insel zu leben eure Musik auch beeinflusst, weil man dort auf niemanden angewiesen ist, sich nach niemandem richten muss und sein eigenes Ding durchziehen kann? Sich also irgendwie freier fühlt?

William: Wir leben zwar jetzt auf dem Festland, aber konnten uns den Spirit bewahren. Dieses Gefühl von Freiheit. Dass wir tun können, was wir wollen. Wenn man Musik macht, ist das Umfeld sehr wichtig.

Blaine HarrisonDabei verrät der Gitarrist auch, dass sie das neue Album eigentlich in Berlin aufnehmen wollten und deutsche Elektro-Bands wie DAF und Kraftwerk gut finden. Blaine fügt hinzu, dass sie „Zoo Time", ein Lied ihres ersten Albums, quasi als Tribute zu dem Film „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" geschrieben haben. Durchaus nachvollziehbar, da die darin vorkommenden Dissonanzen und teilweise schwer zu ertragenden Quietschtöne eine wunderbare auditive Umsetzung einer geplagten Seele wie der von Christiane F. darstellen. In diesem Song kann man auch besonders gut die unorthodoxen Musikinstrumente heraushören, die die Band gerne verwendet, darunter manchmal Töpfe und Pfannen. Doch da gab es noch viel Ungewöhnlicheres: „Wir haben mal ein Remix gemacht, es war für die Futureheads. Wir nannten es „Pirate Invasion". Es war die B-Side von „Hounds of Love". Da haben wir alle Klänge mit Booten erzeugt. Mein Vater lebt bei einem Bootshaus. Wir haben die Aufnahme in einer Nacht gemacht. Sind mit dem Laptop und einem Mirko raus und haben mit verschiedenen Booten Klänge und Klangfolgen erzeugt. Manchmal ist man bei einem Song festgefahren. Dann hilft es oft, einen Ton mit etwas Ungewöhnlichem zu erzeugen. Das führt einen dann weg von..., ehm..." Ja? „Ja..."

http://www.mysteryjets.com/

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