Last Chance; das war’s(?!)

Last ChanceObwohl die Mitarbeiter von Last Chance wegen dem Räumungsverkauf natürlich sehr beschäftigt waren, konnten wir den langjährigsten Mitarbeiter um eine kurze Stellungnahme bzw. Reminiszenz bitten.

Michael, wie lange arbeitest Du bei Last Chance, wie bist Du an diese Möglichkeit überhaupt gekommen?
Über zweiundzwanzig Jahre habe ich bei Last Chance gearbeitet und für mich geht damit eine wirklich wichtige Ära für diese Stadt zu Ende, unabhängig davon, ob es mein Arbeitsplatz war. Den Laden habe ich sofort kurz nach Öffnung an der Schmiedingstrasse kennen gelernt. Ich werde nie die erste wirklich aufregende Zeit dort vergessen. Neu war schon an dem gesamten Konzept, dass es von Beginn an auch gebrauchte Schallplatten gab. Das Programm hatte sich bei Neuware hauptsächlich auf Punk, New Wave und Industrial konzentriert. Es war eine musikalisch sehr aufregende Zeit, alles war in ständiger Bewegung. Und alles war möglich, das Prinzip von Punk und Independentmusik. Die Öffnung des Ladens in der Dortmunder Innenstadt hat uns Interessierten den kurzen Eindruck vermittelt, die "große Welt" ist auch in unserer Stadt angekommen. In der Schmiedingstrasse war der Laden nur eine sehr kurze Zeit, danach zog er in die legendäre Unterführung im IWO-Hochhaus. Am Anfang war in der Unterführung unter anderem ein Sex Shop oder etwas ähnliches. Der Durchgang war als solches auch alles andere als einladend, aber alles war sehr cool. Ich habe dann eines Tages den Aushang gesehen über den ein Mitarbeiter gesucht worden ist, das war's dann.

Anfang der 90er Jahre hat der Laden einige Monate geschlossen gehabt. Ihr habt ein neues Ladenlokal gesucht. Es begann ein ziemlicher Aufstieg am Königswall.
Ja, in dem alten Ladenlokal, im IWO-Hochhaus gab es irgendwelche bautechnischen Querelen, wir mussten dann das Ladenlokal schnell räumen und die Ware einlagern. Alles sehr ärgerlich. Es wurde dann das Ladenlokal am Königswall gefunden. Das Ladenlokal war natürlich viel größer und das Programm wurde enorm erweitert. Die erste grosse deutschsprachige Gothic Generation stand am Start, der musikalische Aufstieg von Crossover begann und Hip Hop wurde, nach dem es Ende der 80er doch recht bergab damit gegangen war, in Deutschland richtig groß. Die ersten deutschen Sprecher waren am Start. Nicht zu vergessen die große Britpop-Welle und Heavy Metal wurde wieder ein richtig großes Thema.

Es begann der Wechsel von der Vinylschallplatte zur CD?
Das ist richtig. Wir kauften sehr viele Sammlungen von Kunden auf, die Ihre musikalischen Vorlieben von nun an nur noch digital genießen wollten.

Da der Laden nun doch sehr bekannt und größer wurde kam doch mit Sicherheit auch mal Prominenz?
Auf jeden Fall. Natürlich war der aufregendste Besuch bei uns im Laden, der von Bela B., leider alleine, ohne Farin Urlaub. Bela kam uns besuchen und nach kurzer Zeit merkte er jedoch, dass ihn am Kassenbereich die ersten Leute erkannt hatten. Er ergriff dann zusammen mit einem Leibwächter die Flucht, alles sehr groß.

Irgendwas wo Ihr gesagt habt schade?
Bedauerlicherweise kamen nicht die Queens of the Stoneage. Es war ein Instoregig geplant. Aufgrund von organisatorischen Problemen seitens der Plattenfirma fiel die Sache aber ins Wasser. Später wurde dann bekannt, dass das wohl bei fast allen diesen Terminen, die geplant waren, der Fall war.

Habt Ihr Euch seinerzeit auch mal richtig umsonst ins Zeug gelegt?
Solche Sachen passieren halt. Bei einem Ärzte Sonnenaufgangsverkauf haben wir leider schon gemerkt, dass Dortmund wohl echte Probleme hat "aus den Puschen zu kommen".

Der Laden wurde immer größer und Ihr habt doch mit Sicherheit gemerkt, dass die Indie Sache schon ein wenig am wanken war?
In den 90ern wurde Indie durch Vertriebe wie Rough Trade oder Efa sehr gross. Und immer charttauglicher. Irgendwann wurde das ganze Indiethema von den Majorfirmen aufgegriffen und immer mehr unterwandert. Es gab viel deutsche Bands, die aus der so genannten Indieszene stammten und sich plötzlich bei den Majorfirmen sehr wohl fühlten. Irgendwas musste etwas passieren, nur immer mehr ging nicht. Der Zusammenbruch der Firma Efa war wirklich ein echter Auslöser. Jeder merkte jetzt, dass leider sehr neue und nicht mehr so schöne Zeiten angebrochen waren.

Der Laden wird nach fast 30 Jahren geschlossen; wie denkst Du wird es anderorts in der Branche weitergehen?
Ich denke es wird nicht sehr schön weitergehen. Musik ist in Zeiten von Klingeltoncharts nichts mehr, womit man sich ernsthaft beschäftigt. Musik wird auf dem Markt immer mehr in den Hintergrund gelangen. Die Angst einiger Leute, dass es keine Tonträger mehr geben wird ist natürlich unberechtigt. Es wird alles, nur in einem viel kleineren Rahmen existent sein. Meine Vorstellung ist die, es wird genauso wie in den 70ern. Zu den Zeiten als Last Chance und ähnliche Läden in der Entstehung waren. Die großen Läden Saturn, Media Markt etc. haben ausschließlich Chartpogramm und einige spezielle Sachen für einen musikalischen Rahmen. Alles andere musst Du Dir über Mailorder, Internet und ähnliches bestellen. Jetzt könnte man meinen, auf diese Art und Weise würde auch wieder ein kleiner unabhängiger Markt entstehen. Das ist aber falsch, denn es wird nicht mehr genügend Kaufkraft und Interesse bestehen. Zu guter letzt ist kein lokaler Markt mehr durch das Internet möglich. Mein Tip an Alle, haltet Eure "eigene" Musik in Ehren und glaubt nicht an Sachen wie den MySpace Hype, denn der wird auch irgendwann ganz schnell vorbei sein.

Auf welchen musikalischen Säulen wird Last Chance für Dich persönlich ruhen?
Das ist relativ einfach, natürlich merkt man daran die Bindung an die ersten beiden Ladenlokale. Als da wären:
Mittagspause - Doppel 7"
Deutsch Amerikanische Freundschaft - Ein Produkt der...
LP von Neue Hinweise
Black Flag - Jealous Again
Sampler - Flex Your Head
23 Skidoo - The Culling is Coming
Throbbing Gristle - Mission of Dead Souls
Residents - Commercial Album
The The - Soul Mining
Alles von Multicoloured Shades

Irgendwas vom Grabbeltisch im Vorraum, die heimliche Lieblingplatte für kleines Geld?
Ganz klar, ohne Nachdenken, alles von Van Halen.

Welcher persönliche Wunsch musikalisch oder ähnlich ist für Dich im Laden leider nie in Erfüllung gegangen?
Eine Gruppe japanischer Schulmädchen stürmt den Laden auf der Jagd nach Singles von Cherry Red.

Das letzte Wort?
Danke an alle Kunden, die auch mir als Mitarbeiter die Treue gehalten haben. Mit Euren Einkäufen habt Ihr das Programm bestimmt. Nur mit Euch konnten wir Last Chance sein. Danke an die Geschäftsleitung von Last Chance für das Bemühen Dortmund musikalisch fast dreißig Jahre aus der Provinz herauszuholen. Leider ist das jetzt vorbei. Danke an Christine und Ulli für zweiundzwanzig Jahre Arbeitsplatz, den ich kein zweites Mal finden werde. Der letzte musikalisch Tip vom Fachverkäufer, aus gegebenem Anlass, besonders düster und traurig: Guz  Black - Today Is Not The Day...

Cari Saluti
Michael
Juli 2008