V. A. - Rocksteady.The roots of reggae

Tanztee im SeniorenheimRocksteady ist vermutlich die einzige Musikrichtung, die aufgrund klimatischer Gegebenheiten entstanden ist.

Eine Legende behauptet, es sei im Sommer 1966 auf Jamaika derart heiß gewesen, dass die Tänzer und Tänzerinnen nicht mehr bereit waren, zur damaligen Mode der schnellen, treibenden Skabeats unerquicklich zu transpirieren. Sie verlangten deshalb die Erfindung der Langsamkeit. Die Musiker reagierten, und der Rocksteady war geboren. Ein weiteres, nicht weniger bizarres Ammenmärchen besagt, dass Hopeton Lewis, der gemeinhin als Erfinder des Rocksteady gilt, sich nicht in der Lage sah, die Vocals zu "Take it easy" so schnell zu singen, dass sie zum Ska-Rhythmus passten, und deshalb die Musiker bat, gottverdammich langsamer zu spielen.

Dieser Hopeton Lewis ist auch maßgeblich an der Neuauflage des Rocksteady aus dem Jahr 2008 beteiligt. Alte Recken trafen sich im April letzten Jahres in den renommierten Tuff Gong Recording Studios in Kingston, um das nur zweijährige Intermezzo der jamaikanischen Musikgeschichte in Erinnerung zu rufen. Mit dabei auch die beiden Gitarristen Ernest Ranglin und Lynn Taitt: Entscheidende Mitglieder der damaligen Supersonics, die Studioband des Treasure Isle Studios von Duke Reid, der den Rocksteady zu jener Zeit von Produzentenseite weitgehend bestimmte.

Der extrem tanzbare Sound wurde für das vorliegende Album liebevoll restauriert. Es wurde ein Haufen Klassiker erneut eingespielt, wie beispielsweise Lewis‘ Megaerfolg "Take it easy", Desmond Dekkers "Shantytown" (o-o-seeeven), Derrick Morgans "Tougher than tough" oder das wundervolle "Tide is high" der Paragons, welches Reggae-Meidern in den 1980er durch Blondie nahe gebracht wurde. Letzteres zeigt sehr schön den behutsamen Umgang mit den Originalen, indem sogar der damals neuartige Einsatz einer Geige in das Remake übernommen wurde. Natürlich beziehen die Originale einen Großteil ihres Charmes durch die aus heutiger Sicht vorsintflutliche Zwei- oder Vierspurtechnik der Aufnahme und den daraus resultierenden Sound, der 2008 so nicht rekonstruiert wurde. Zwar ist der neue Sound nah am Original. Einer gewissen Technikverführung konnte man sich jedoch nicht entziehen. Z. B. Stimmendoppelung als aktuellen Ersatz für die exzellenten Leistungen der einstigen Vokalisten. Denn da in vielen Fällen die Protagonisten ihre eigenen Songs erneut einsingen, bemerkt man die altersbedingte Ausdünnung der Stimmen beim direkten Vergleich. Mit Ausnahme von Judy Mowatt, die in "Silent river runs deep" immer noch mit ihrem außergewöhnlichen Organ glänzt.

Die Tonaufnahmen zu "Rocksteady - The roots of reggae" wurden von Filmaufnahmen begleitet, die in einen Dokumentarfilm gleichen Namens mündeten und eine Hommage an die Künstler und deren Musik darstellen soll. Falls der Groschen nun noch nicht gefallen ist...Hier wird offensichtlich versucht, einen jamaikanischen Buena Vista Social Club zu etablieren. Der Film stammt vom Schweizer Stasa Bader, der sich bereits 1988 mit einem damals modernen Phänomen des Reggae beschäftigt hat. In seinem damaligen Buch "Worte wie Feuer" widmete er sich der jamaikanischen Dancehall-Kultur.

Die CD beweist, dass sich Rocksteady für eine Anlehnung an das kubanische Altenheim anbietet. Denn selbst Reggae-Legende Sly Dunbar behauptet, Rocksteady hat gegenüber dem Reggae "better sound, better singing, better playing and better instrumentation". Das ist ein Ritterschlag, der die internationale Vermarktung anfeuert. Hinzu kommt, dass Rocksteady keine Weltanschauung außer Liebe, Tanz und Spaß transportiert. Rocksteady ist 100% rastafrei, was haargegeltem Auditorium sicher den Genuss versüßt.

Die Idee eines jamaikanischen Sozialvereins ist ganz gewiss abgekupfert und wenig spritzig. Aber mal ehrlich: Es gibt ungeschmeidigere Arten, seine Rente zu sichern. Den Alten und dem Rocksteady drücke ich deshalb die Daumen.

Erscheinung: 2009 (28.08.)
Label: Moll-Selekta
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