Mit Donnerhall in die Karotte - Gregory Isaacs in der Live-Station 23/04/08

ImageGregory Isaacs eilt ein Ruf wie Donnerhall voraus. Er reicht sogar bis in die Wohnzimmer der Doppelhausschuhkartons in den Vororten und beamt deren Besitzer in die Live-Station wie einst Kirk auf fremde Planeten. So kam es, dass plötzlich alles wieder da war. Die Karottenhose, die Jeansjacke mit hochgekrempelten Stulpen und hochgestelltem Kragen oder sogar mit abgeschnittenen Ärmel und das fast selbst gebatikte Athiopienshirt. Hätte man genauer geschaut, wäre sicher auch die auf ein Revival wartende weiße Tennissocke entdeckt worden.

Die Heimwerker- und Hobbykoch-Fraktion konnte die Live-Station an diesem Mittwoch Abend nicht gänzlich füllen, selbst mit Unterstützung einigen Jungvolks nicht. So war sie gut besetzt, doch nicht voll, ausreichend aber für gute Stimmung, wie sich später zeigen sollte. Um halb zehn erschien die Live Wyya Band auf der Bühne, selbstredend ohne Gregory, denn der ist kein Freund langer Auftritte. Dementsprechend wurde das Vorprogramm ausgedehnt. So startete die Band mit Ergänzungssänger und versuchte die Leute mit einem Potpourri eigener Songs und Rootsklassikern, wie beispielsweise Bunny Wailers Ballroom floor, aufzuwärmen.

Es folgten die K Queens, Teenager-Zwillinge aus Jamaika, die uns einen knackigen Dancehallset auf's Brot schmierten, der bei den Karohemden und Karottenhosen nicht so gut ankam. Das lag möglicherweise auch daran, dass die beiden Mädels Ihren Auftritt vermutlich bei irgend einer Familienfeier uraufgeführt und seitdem nicht wesentlich verändert haben. Prädestiniert, um sich sich mal einen Anschiss bei Bohlen abzuholen.

Doch dann war es soweit: Der cool ruler himself erschien auf der Bühne. Alt geworden, aber wie immer in Anzug und Hut. Er startete mit Number one und Tune in. Killer! So ging es weiter. Gregory bestritt sein Programm fast ausschließlich mit den Hits der 1980er Jahre: Oh what a feeling, Soon forward, Border, Love is overdue, Mr. Brown, Cool down the pace und auch die Band rekonstruierte den Sound der Roots Radics, Gregorys genialer, früherer Lieblingsband, so gut es ging. Man hätte meinen können, man sei zeitversetzt worden auf Isaacs' Live-Album, das ihr im unruhr Popkulturshop für nur sechs Euro kaufen könnt. Eine seltene Ausnahme bildete Rumours, Gregorys Soundtrack zu seinem comeback in den 1990er. Am Ende jubilierte der Saal der Kranken, stimmte begeistert ein bei Night nurse, all the pain is gettin' worse, was der alte Mann dort oben besonders authentisch ablieferte. Da hatte er wie gewohnt bereits sein Jacket abgelegt. Für zwei Zugaben kam er wie immer noch stärker entblößt zurück: Das Hemd aufgeknöpft, damit sein Netzunterhemd sichtbar wird, das der Kenner bereits vorher unter dem Hemd erahnte. Nach einer Stunde war alles vorbei. Nach einer Mörderstunde, niemand hatte Grund, sich zu beschweren. Es war die Verabreichung höchst konzentrierten Lovers Rock Extraktes. I don't wanna see the doc...

Gregorys Auftritt war eine 80er-Party der anderen Sorte und hatte wenig zu tun mit der Darreichungsform des rezenten Reggae, ohne jedoch in einem Früher-war-alles-besser zu verkommen. Eigentlich. Denn viele der Zuschauer werden sich mit genau dieser Gemütsverfassung auf ihre Hollywoodschaukeln und in ihre Mälzerküchen zurückziehen und so bald nicht wieder in großer Öffentlichkeit erscheinen.

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