Aufatmen. Wer auf Reggae abgeht, jedoch die Haare nicht verfilzen lassen mag, nicht auf Birkenstock steht, Haile Selassie für den 10.000 m-Weltrekordler hält, sich sicher ist, Herr Gott sei nicht zu Hause, und dass es unter Mützen fürchterlich juckt, zudem beim Kiffen hustet wie ein frühpensionierter Bergmann, der kann heutzutage problemlos deutschen Reggae aus dem Regal greifen. Das Angebot ist groß, es geht alles zwischen Gentleman und Seeed.
Beispielsweise die Berliner Ohrbooten mit ihrer zweiten langen Veröffentlichung babylon bei boot. Rootsreggae ist nur das Chassis. Darauf ist eine Menge aufgesetzt: Dancehall (alle gegen alle), Worldbeats (bewegung), Pop (bild dir deine meinung), Ska und Punk (kaffee), Country (zehn kleine menschlein) und abschließend sogar eine Reminiszenz an eine andere große Berliner Band, die Comedian Harmonists (meerchen).
Ist das denn überhaupt noch Reggae? fragt der Purist und klopft seine Strickmütze aus. Jawohl. Noch wichtiger jedoch, dass dies völlig egal ist. Die Ohrbooten nutzen die Chance, die Seeed, Culcha Candela und Patrice vorbereitet haben. Hier ist Reggae der kleinste gemeinsame Nenner, den man hochrechnet bis heraus kommt, was man sich vorher dachte. Es ist der deutsche Weg des Reggae, man scheißt auf Konventionen, inhaltliche Zwänge und historische Vorbilder, auch wenn man diese im Albumtitel noch zu würdigen weiß.
In dieser Hinsicht ist kaffee der zentrale Track auf babylon bei boot. Fängt an wie ein französisches Chanson, hangelt sich dann über Reggae, Rocksteady und Ska bis ins Punkige und huldigt dabei nicht der Leitpflanze des Reggae, sondern preist die schnöde, legale Droge Kaffee, das - statistisch gesehen - liebste Getränk der Michels.
Falls du also Pickel vom pastoralen Psalmodieren eines Gentleman bekommst, ein Fußwippen aber nicht verhindern kannst, versuch's mal mit Booten in den Ohren.