Rocko Schamoni & l'Orchestre Mirage - Die Vergessenen

rocko schamoni die vergessenenHeld der nicht enden wollenden Jugend. Der Mann trägt mit subversiver Würde einen Namen wie ein Pornostar, hat die Attitüde eines genialen Dilettanten in kunstvoller Weise durch die Zeitläufte navigiert, versteht es wie kaum ein anderer lakonischen Humor mit mal leiser, mal auch lauter Melancholie zu verknüpfen und ist einfach eine coole Sau.

Als ich neulich jedoch ein Porträt Rocko Schamonis in der Süddeutschen las, in dem das Gesamtkunstwerk rüberkam wie ein halbseniler Rentner, der früher alles besser fand, weil der böse Neoliberalismus ihm sein gutes St. Pauli kaputt macht, dachte ich nur: Aua!

Woraus soll man sonst seine subversive Kraft ziehen, wenn nicht aus dem aussichtslosen Kampf gegen die neoliberalen Apologeten des Untergangs? Das wird um so seltsamer, als er in besagtem Artikel als neues Sehnsuchtsziel Bayern ausgegeben hat. Bayern, das sich gegenüber dem angeblich touristifizierten Hamburg seine Authentizität bewahrt habe, Bayern, in dem jeder Quadratmeter Oktoberfest und Alpenidylle der Markenmaschinerie zugeführt wird. Offenbar will jemand seiner alten Heimat den größtmöglichen Schmerz zufügen.

Ich weiß gar nicht, ob dieser Artikel tatsächlich den Gemütszustand Rocko Schamonis getroffen hat oder ob der Autor diesen aus dramaturgischen Gründen überhöht hat. Denn wenn ich mir Rocko Schamonis neues Album anhöre, stellt es sich sofort wieder ein: dieses bittersüße Gefühl der geliehenen Freiheit. Dort lebt jemand das Leben, das man selbst gerne Leben möchte, und ist auch noch in der Lage, das in mal fedrig leichten, mal hauchdepressiven, mal frischen, mal rumpelnden Swing und Schlageriaden aus Pop zu verwandeln. Heulen könnte man, vor Freude oder aus Frust - je nach Lebenslage und -lüge.

Für die Vergessenen hat er sich jedoch selbst ein Stück Leben entliehen und vergessene Prunkstücke deutscher Popkulturgeschichte wieder belebt: Lieder mit Haltung, Widerhaken, Borsten, aber auch zartem Flaum. Darunter Stücke von Manfred Krug, Jeans Team, GUZ, FSK, Ton Steine Scherben und Saal 2.

Mit Zeilen, die - ganz im Stile Schamonis - so unangestrengt unfertig und unlektoriert wirken und gerade dadurch ihre ganze Kraft entfalten: Wir stehen im Morgenlicht, fiebrige Knospen im ersten Sonnenstrahl (Morgenlicht, Ton Steine Scherben). Aus dem Haufen dieser Stadt musst du raus und du wirst sehen, du wirst dich verändern in all diesen Ländern. Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, kein Geld. Mein Zuhause ist die Welt (Das Zelt, Jeans Team). Dein Körper ist zu Marmor geworden, dein Busen ist ein Friedhof für Orden (Angela, Schamoni). Ich hab dich geliebt und im Herzen getragen. Jetzt bist du gerutscht und liegst mir im Magen. Und da ich keine Rettung seh, koche ich mir Abführtee (Rom, Saal 2). Die geheime Weltregierung kommt und bringt gute Vibration (Die geheime Weltregierung, GUZ).

Rocko Schamoni hat zusammen mit dem Orchestre Mirage unter der Leitung von Sebastian Hoffmann ein wunderbares, ein wirklich einfach wunderbares Album vorgelegt, dass sich vielleicht aus einer Art larmoyanter Spätwerkattitüde speist - grundiert durch den Abschiedsschmerz vom alten Hamburg, von dem wir doch alle dachten es sei unabsteigbar.

Und jetzt? Soll es das gewesen sein? Das Ende des geliehenen Lebens? Lieber Rocko Schamoni, leb' es bitte weiter. Es geht nicht ohne. Was soll ich denn später meinen Kinder aus meinem früheren Leben erzählen?

Tracks:

La Moglie Piu Bella (Enno Morricone)
Rom (Saal 2)
Die geheime Weltregierung (GUZ)
Angela (Rocko Schamoni)
Loswerden (Die Regierung)
Was kostet die Welt (FSK)
Michelangelo Anonioni (Caetano Veloso)
Morgenlicht (Ton Steine Scherben)
Früh war der Tag erwacht (Manfred Krug)
Ist das wieder so `ne Phase (Lassie Singers)
Schmerzen (Rocko Schamoni)
Das Zelt (Jeans Team)
Who Will Buy My Yesterdays (John Barry)

Rocko Schamoni & l'orchestre Mirage
Die Vergessenen
VÖ: 22.05.2015
Staatsakt

www.rockoschamoni.de