Logoplasm - Kane-i-kokala / Gerald Fiebig - Public transport

Logoplasm - Kane-i-kokala Zwei neue Bonsaigewächse durchbohrten vor kurzem die kleinwüchsige Erdkrume des Field Muzick Labels: Logoplasms rauschende Seerettung und Gerald Fiebigs Stroboskoplichttanz im bayerischen Jetset.

For all who are not so wahnsinnig into Deutschlands experimentelle scene of underground: Field Muzick ist das autonome Staatsgebiet des Muckers Marcus Obst, der den Hörern selbst schon magische Soundartefakte als Dronæment via Drone Records, Afe oder im Eigenvertrieb soufflierte.

Seit Anfang 2006 bietet er nun in Form einer kohärent gestalteten 3"-CDR-Reihe all denen ein Forum, die mit ihm nach Ergebnissen anhand der Formel „field recordings + X = immer wieder erstaunende Tonkunst in spe" streben. Die Variable ist dabei so weit dehnbar wie bei kaum einem anderen Nischenlabel. So kommt es, dass das Standbein zwar stets mit festester Bodenhaftung im Blumenbeet der Feldaufnahme verharrt, der Ausfallschritt aber mit jeder neuen Veröffentlichung andere Sektoren der musikalischen Spielwiese durchpflügt. Kauzige Dachbodenvolksmusik trifft auf fein eingerichtete Gitarrenlounge trifft auf dark ambientische (Un-)Tiefen trifft auf feinoszillierende Synthieschleifen der alten Berliner Schule. Das Fenster steht dabei nur stets sperrangelweit auf.

In unserem heutigen Fall hören wir durch das Audiovelux:

Logoplasm: Kane-i-kokala
(1 Track/19:03 Minuten)

Zunächst einmal ist da Wasser. Und im Verlauf der kommenden 19 Minuten wird dort auch nicht viel weniger Trockenland auftauchen. Die erste Hälfte beginnt noch sehr hermetisch, die einzelnen Tonelemente sind noch (relativ) klar einer Wahrnehmungsgeografie zuzuordnen. H2O, welches etwas milchbubenhaft durch eine unter Kontrolle stehende Leitung läuft. Menschen, die wie in einem Museum etwas isoliert vom Kulturobjekt ihre Meinungen tuschelnd von Ohr zu Ohr weitergeben. Aber je mehr Zeit vergeht, desto wütender und unbändiger wird das Nass, bis es sich in eine rauschende Bestie verwandelt hat. Als Hörer wird man von immer mehr an Lautstärke und Intensität zunehmenden Wogen überflutet. Fiat lux: ein trotz Stimmengewirr und Menschenkulisse einsamer Zuhörer.

Es ist eine dieser cineastischen Szenen, in welcher der Darsteller eines metaphysischen Klamauks auf einem wuselnden öffentlichen Platz plötzlich in der Bewegung verharrt, den Kopf in den Nacken legt und mit weit geöffneten Augen in die gleißende Mittagssonne starrt; ihn eine Vision der ewigen Erkenntnis in weißem Überwurf und mit wallenden Goldlocken von oben in die Grauzone zwischen Tinnitus und Erleuchtung abholt. Hier vielleicht auch eine Fußnote in Richtung Titel: In der hawaiianischen Mythenwelt ist der Kane-i-kokala ein Wesen in Form eines Haifisches, welches den im offenen Ozean Verlorenen sicher zum Ufer zurückgeleitet. Um diesen Effekt des Heimkehrens zu erzielen, sollte sich der interessierte Gourmet allerdings auch unverzüglich und am besten schon vorher den kostenlosen Bonustrack „Mesmerizzato In Trono Via Dispersione Aerotropa" (http://www.fieldmuzick.net/logoplasm-kane-i-kokala.phtml) der eigenen Festplatte aufgetischt haben: Zu zarten Droneflächen und beruhigend mit sich selbst beschäftigten Dialogen wird das Wasserthema erneut aufgenommen. Diesmal allerdings nicht als alles vereinnehmende Naturgewalt sondern in Form von nach unten tropfendem Morgentau. Der Schläfer ist erwacht.

„Kane-i-kokala" reiht sich mühelos in die besten Werke des italienischen Experimentalpärchens ein und vereint alle starken Charakteristiken in einem Durchlauf: Konzentration, Intensität, Rohheit, Schönheit.


Gerald Fiebig - Public transportGerald Fiebig: Public transport
(1 Track/17:04)

„Tschüss!"
Fiebig wirft den Hörer direkt nach einer Sekunde aus dem Entbindungssaal seiner stotternden Kopfgeburt. „Musique anecdotique in memoriam Luc Ferrari" schmiegt sich kursiv unter den Rockzipfel des Titels und verrät dem kleinbürgerlichen Alleswisser schon vor Erklingen der ersten Millisekunde das Korsett, in welchem Fiebigs Aufnahmen die kommenden Umdrehungen auf dem roten Silberling [sic!] bestreiten. Presque rien an allen Ecken und Kanten und das ist auch gut so, Baby!

Liebevoll und mit dem Gespür für absurd bis bizarr gestrickte Situationskomiken, geht der bayerische Audioschnippsler ans Werk. Die Kunst, die Niederkunft des Alltäglichen so zu arrangieren wie Gott es nicht gewollt hat, wird hier leichtfüßig und mit einem immer währenden Schmunzeln vorgeführt. Dem hormonellen Auftrieb Tribut zollende Weiblichkeiten, sachlich nach der passenden Bezahlung bittende Regulativen, das stimmgewordene Verbot des Nichtmitkommendürfens einer Mutter an ihr Kind/ihren Hund/an sich selbst im Wartezimmer des Lokalgerontologen und immer wieder schreiende Säuglinge. All dies hätte sicherlich auch Klaus Kinski gefallen, hätte er sich für diese Art der Tonkunst zu Lebzeiten interessiert.

Der obligatorische Bonustrack for free deutet dann noch auf einen anderen Stern am Avantgardefirmament: John Cage. „6'39'' über Halberstadt" ist eine exquisite Hommage, in welcher der Feldaufnehmer den Flügeldeckel anhebt, den Moment geschehen lässt und dann nur ein weiteres Mal mit dem Schließen des Deckels (analog: mit dem Drücken der Stoptaste) in Aktion tritt. Orgeldroneherz, was willst du mehr außer 639 Jahre zu verweilen?


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