Geile Folgerichtigkeit - Neneh Cherry im Carlswerk Köln 19/02/19

neneh cherry1 kleinAls Neneh Cherry ihr Debütalbum „Raw like sushi“ veröffentlichte, war sie 24 Jahre alt. An diesem Dienstag in Köln fanden sich im Carlswerk zum überwiegenden Teil Menschen ein, die damals ebenfalls 24 waren oder nur unwesentlich jünger.

Und so überbot man sich diesen Abend ein bisschen an jugendlichem Charme, die Hörfunkjournalistin vom WDR war einen Tick lässiger als der der stilvoll ergraute Apotheker im schwarzen Hoodie, der aber deutlich zu erkennen gab, dass er Ende der Achtziger ein Mordsmolly war. Der Best-Ager in der softgrünen Steppdaunenjacke war nicht mehr so ganz mit den Gepflogenheiten an der Bar vertraut, während sich das einstmals freche Girlie nun beim Pfandbecher eintauschen vordrängelte. Damals eigentlich uncool.

Als die Bühne sich sanft einnebelte und in blaues Licht gehüllt war, aber Neneh Cherry um fünf vor neun noch immer nicht am Mikro stand, wurde der Angestellte des öffentlichen Dienstes in den schwarzen Understatement-Pumasneakern aber ungeduldig, weil er das von seinem Abo bei den Essener Philharmonikern so nicht gewohnt ist und schließlich morgen um sieben in der Früh wieder im Amt sein muss.

Schließlich sollte dies ein Abend der wohligen Erinnerungen sein. Des Schwelgens, des wärmenden Badens in der eigenen Jugend. Oder etwa nicht?

Aber das war eine Rechnung ohne den Wirt. Als die Band um Punkt neun die Bühne enterte, begann ein Konzert, das fest im Hier und Jetzt verankert war. Cherry stellte ihr hervorragendes 2018er-Album „Broken politics“ in den Mittelpunkt. Die neuen Songs, die für das Album nahezu vollständig digital entstanden, wurden von den sechs Musikern überragend umgesetzt. Heftige, teils brachiale Beats und Loops kontrastierten mit beeindruckenden Darbietungen an Vibraphon, Congas und Harfe. Außer den beiden am stilisierten DJ-Pult beschäftigten Elektronikern, wechselten die übrigen vier Musiker häufig die Plätze und Instrumente. Aus der Harfistin wurde zwischendurch eine großartige Bassfrau, Josy wechselte zwischen Vibraphon und E-Piano, der gepflegte Herr am elektrischen Schlagzeug bediente bisweilen die analoge Percussion.

Und erst nach handgestoppten 50 Minuten gab’s dann mit „Manchild“ zum ersten Mal Gutes von Gestern. Danach „Soldier“ vom neuen Album und Schluss. Cherrys konsequentes Ausblenden des Gestrigen verwirrte einige Zuhörer, die deshalb die Zugabe nicht mehr abwarteten. Dabei wäre in den letzten 20 Minuten noch etwas für sie dabei gewesen: „7 seconds“. Das Stück von 1996 - das Youssou N’Dour mit seinen Co-Leadvocals unverkennbar machte - in einer zeitgemäßen Version, ohne den Part des zwischenzeitlich im Senegal zum Minister aufgestiegenen Sängers einfach vom Band einzuspielen.

In den 80 Minuten im Carlswerk hat die Neneh von damals sich nicht simpel reproduziert, sondern sich stattdessen in die Neuzeit transferiert. Ein Auftritt von konsequenter Schönheit, denn der damalige Sound passt nicht zu einer bald 55-jährigen, die zwar beileibe nicht aussieht wie es die Geburtsurkunde behauptet, aber offensichtlich um ihr Alter weiß und dafür sehr geschmackssichere Entscheidungen trifft.

Der Gig wäre vielleicht noch eine Spur cooler gewesen, wenn Neneh Cherry nicht doch ein wenig den üblichen Gepflogenheiten des Musikbusiness nachgegeben hätte. Das letzte Stück war ihr großer Hit „Buffalo stance“. Allerdings hatten den meisten Spaß an "Buffalo stance“ die drei jungen Musiker der Band, die 1988 vermutlich noch gar nicht geboren waren. Das Publikum war da vielleicht schon zu müde.