Keep on running
Keep on hiding
One fine day I'm gonna be the one
To make you understand
Kurzzeitig fühlt man sich in die 1960er versetzt, doch ein Blick ins Publikum genügt, um der mentalen Zeitreise ein jähes Ende zu bereiten: keine Mini-Röcke, angeklebten Wimpern oder Zoot Suit Jackets. Allein das Lied der Spencer Davis Group, ein Superhit dieses Jahrzehnts, der sich sowohl in England als auch in Deutschland über ein Vierteljahr in den Charts behaupten konnte, lässt Reminiszenzen an die Beat-Generation aufkommen.
Heute fungiert er als Einzugshymne für The Rifles, die wie viele andere junge britische Bands das Erbe dieser Generation angetreten haben. Warum sie gerade dieses Lied als Ankündigung ihres Erscheinens gewählt haben, wissen letztendlich wohl nur sie, jedoch kann man ein paar Vermutungen anstellen:
a) Die Spencer Davis Group wurde exakt 40 Jahre, bevor The Rifles sich als Band zusammenfanden, gegründet. Möglicherweise fühlen diese sich als direkte Nachkommen.
b) „Keep On Running" hielt sich 14 Wochen in den britischen und 15 in den deutschen Charts. Wer würde nicht einen solchen Erfolg heraufbeschwören wollen (besonders, wenn die eigenen Singles bisher nicht über eine Halbwertzeit von zwei Wochen hinausgekommen sind)?
c) Der Titel des Songs passt hervorragend zu dem des neuen Albums der Band, „Great Escape", der wiederum - mit einiger Fantasie - auf den 1988 mit Phil Collins gedrehten Film „Buster" verweisen könnte, in dem dieser einen Teilnehmer des „Great Train Robbery" mimt - der übrigens 1963 stattfand, also dem Jahr, in dem sich die Spencer Davis Group formierte - und das Lied die Eröffnungssequenz musikalisch untermalt. Außerdem hatte Collins mit „A Groovy Kind Of Love" und „Two Hearts", die er zum Soundtrack beisteuerte, zwei Nummer-Eins-Hits (s. Punkt b)
d) The Rifles könnten - bezieht man sich mehr auf den Text - andeuten wollen, dass man an ihnen nicht vorbei kommt.
Und das zu beweisen sind sie angetreten. Doch wie fällt nun dieser Praxistest aus?
Das Set besteht aus 13 Songs plus vier Zugaben - verzichtet also kaum auf ein Lied des 21 Titel umfassenden Oevres (lässt man die B-Seiten beiseite) - und stellt einen ausgewogenen Mix aus Altem und Neuem dar. Als Opener entscheiden sich die vier Londoner für „Science Is Violence", das auch seine gewünschte Wirkung nicht verfehlt und das zum größten Teil minderjährige Publikum in den ersten Reihen sofort eine Moshpit aufmachen lässt. Die beiden Klassiker „She's Got Standards" (die bisher erfolgreichste Single des Quartetts) und „Repeated Offender" bringen noch mehr Bewegung in die wogende und springende Menge und lassen mich - aus Angst um Leben und Kamera, bedingt durch das Fehlen eines Fotograbens - die Flucht in ruhigere Gefilde antreten.
In sicherer Entfernung erstreckt sich dann vor mir die auf dem Konzert vorhandene Alterspyramide in horizontaler Ausrichtung: von 14 (vorne) bis 40 (hinten) Jahre. Wie man es auf allen Gesellschaftsspielen findet. Vereinzelt sieht man sogar Exemplare, die möglicherweise als Kinder noch die Schaffensjahre der Spencer Davis Group bewusst miterleben konnten, doch diese haben eher Seltenheitswert.
The Rifles sind keine Männer der großen Worte, nur selten unterbricht eine gesprochene Mitteilung das gesungene Wort und wenn, dann gleicht dies viel eher einem Telegramm, als einem Brief an einen guten Freund, dem man die Erlebnisse eines gesamten, voneinander getrennt verbrachten Jahres erläutern will. Hier soll wohl eher die Musik für sich sprechen, nur eine Nähe zu Publikum wird auf diese Weise nicht hergestellt.
Würde man die Musik nicht von den Alben kennen, so wäre dies jedoch nicht der Moment, an dem man ihr verfällt. Es sind oft Konzerte, die mich von der wahren Qualität einer Band überzeugt haben: Franz Ferdinand, Glasvegas, Sugarplum Fairy... Ein wohliges Kribbeln, das sich aus dem Bauch in alle Fasern des Körpers ausbreitet, eine Entrücktheit, die einen mit der Musik verschmelzen lässt oder die rohe Energie, die zum Mittanzen zwingt. Doch heute fühle ich mich eher an The Courteeners erinnert, deren Songs ich täglich auf Repeat gehört hatte, die aber live nicht zu überzeugen wussten - zu einzelkämpferhaft die Performance der Bandmitglieder, zu routiniert das Spiel, zu emotionslos der Gesang. Und zu wenig Improvisation, die den Liedern im Live-Zustand eine neue Dimension verleihen könnte.
Sowieso ist ein Vergleich dieser beiden Bands nicht zu weit hergeholt: die gleiche Aufstellung, eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit der beiden Frontmänner, eine nicht zu überhörende Vertrautheit bei den musikalischen Strukturen und die Singer/ Songwriter-Einlage des Leadsängers mit Akustikgitarre. Doch bei The Rifles entdeckt man im Arrangement ebenfalls Züge der Pigeon Detectives und von The Cribs (auf dem Neuling auch ganz unzweifelhaft welche von den Beatles).
Mit „Robin Hood" beendet die Band sehr passend das Set („One just one and then I'll go), bevor sie sich erneut auf die Bühne bitten lässt und mit einer akustischen Version von „Romeo And Julie", das sie bereits vorher zum Besten gegeben haben, das Publikum dazu animiert, den vorher gelernten ohu-ohu-oh-oh-Refrain zur Unterstützung zu grölen. Es folgen noch das weithin bekannte „Narrow Minded Social Club" und thematisch aneinander anknüpfend „The General" vom neuen und „Local Boy" vom Debütalbum. Wobei es folgerichtiger gewesen wäre, diese in chronologischer Folge zu spielen, da sich so eine Story um die Lieder entwickelt hätte.
Auch die das gesamte Konzert über in der Luft tänzelnden Seifenblasen - die übrigens der neueste Trend bei den noch schulpflichtigen Konzertbesuchern in diesem Jahr zu sein scheinen, denn diesem Ersatz für Feuerzeuge und leuchtende Handydisplays bin ich in einer Woche auf Konzerten von zwei verschiedenen Bands in zwei unterschiedlichen Venues begegnet - vermögen es leider nicht, dem Event einen magischen Touch zu verleihen, den Konzerte aber durchaus haben können.