martin fuhs oder seconds in formaldehyde

martin_fuhsunruhr: die „a shiver in red“ ist dann doch noch erschienen; es hat sehr lange von der ersten ankündigung auf der labelwebsite von droehnhaus bis zum release gedauert, das format wechselte mehrmals und auch das cover wurde überarbeitet. was war denn da los? und: stand der musikalische inhalt von anfang oder wurde auch der noch fortgeschrieben?
martin fuhs: um es gleich vorweg zu nehmen. der musikalische inhalt stand die gesamte zeit über fest. theoretisch lag die musik also fast ein dreiviertel jahr fertig vor, bevor dann im dezember das album endlich offiziell erschien. ich glaube ursprünglich war ein termin im februar oder märz geplant und dann begannen die probleme. zuerst hatte das presswerk probleme mit dem master. angeblich wäre diese musik nicht für das medium schallplatte geeignet. ich hatte daraufhin eine nette unterhaltung mit dem techniker dieser firma. anscheinend waren es die unterschiedlichen und teilweise extremen frequenzen die ihm probleme bereiteten. jedenfalls wurde die idee "vinyl veröffentlichung" dann fallen gelassen. ich hatte danach die idee, das album auf dvd zu veröffentlichen. eine zeit lang hatte ich auch einen videokünstler, der videos für jeden einzelnen titel erstellt hatte. ich weiß nicht warum, aber der kontakt brach ab und ich bekam kein material zum vereinbarten termin. daher musste auch die idee der dvd gestrichen werden. blieb als letztes also die cd mit booklet meiner fotografien. das lief auch alles ziemlich gut, bis alwin mir dann eines tages eine e-mail schrieb, in der er meinte es gäbe doch die gewünschte vinyl veröffentlichung. so kamen wir also nach viel verstrichener zeit doch noch zu einem sehr positiven ende.

unruhr: „a shiver in red“ erscheint als seconds in formaldehyde, gleichzeitig hast du eine neue website unter deinem richtigen namen martin fuhs geschaltet (dazu gleich noch mehr fragen) und seconds in formaldehyde haben für diesen release das instrumentarium hörbar erweitert: neben der weiterhin prägenden gitarre jetzt auch piano, elektronik und radioeinspielungen, in der produktion weg vom looper-jam zu, ja, mehr produktion. was hat dazu geführt? ist diese platte ggf. der abschluss / abschied von seconds in formaldehyde? ein übergang? hören wir in zukunft eher martin fuhs?

martin fuhs: das problem mit künstlernamen ist meiner meinung nach, dass man schnell nicht ernst genommen wird. oder das man nur aufgrund des namens direkt in eine schublade gedrückt wird. beides sind sachen die ich nicht mag. viele leute haben zum beispiel bei dem namen "seconds in formaldehyde" direkt den begriff dark ambient vor augen. etwas gegen das ich mich stark sträube. einfach aus dem grund, dass ich in meiner musik keine anzeichen von dark ambient höre. natürlich ist das jedem selber überlassen, aber ich, als künstler der die musik kreiert, weiß das ich kein dark ambient mache bzw. überhaupt keine intention habe "düster" oder "bedrohlich" zu klingen.

viel mehr will ich versuchen, weg vom "eindimensionalen" gitarren drone, hin zu einer vielseitigeren art der musik zu kommen. dazu war es nötig neue aspekte in die musik mit einzubringen. weg von den improvisierten looping studien, hin zu mehr strukturierten und produzierten klängen. außerdem habe ich das soundspektrum um field recordings, klavier und radiowellen erweitert. gerade diese shortwave radio einsprengsel dienen mir in einem bestimmten sinne als katalysator. etwas das die musik trägt und verfeinert. ich bin sowieso der auffassung, dass viele elemente des noise als katalysator für musik dienen können, wenn man sie "intelligent" einsetzt.

ich weiß im moment noch nicht genau, ob es der abschluss ist/wird. jedenfalls steht fest, dass erstmal nur noch veröffentlichungen unter meinem richtigen namen kommen werden. natürliche werde ich aber gewisse aspekte meines alten sounds beibehalten. so wird man auch auf einer zukünftigen martin fuhs veröffentlichung noch genug gitarren hören können. wie schon oben beschrieben, bin ich aber bemüht den gesamten klangkosmos vorranzutreiben.

unruhr: was bislang unter martin fuhs zu hören ist, rückt mehr als einen deutlichen schritt von seconds in formaldehyde ab: minimalistischer, komponierter, vor allem: nicht gitarren-ambient, sondern das piano als leitinstrument. war dir die gitarren-ambient-drone schublade zu eng geworden? suchtest du einfach eine neue klangästhetik? und, bei der frage: welche instrumente spielst du eigentlich alle, mit welchem bist du gestartet?

martin fuhs: wenn es danach geht, habe ich mich ja selber in diese schublade gepackt. zu eng ist sie mir eigentlich immer schon gewesen, einfach aus dem grund, dass man nicht genug spielraum hat. man hat die gitarre und seine effekte und versucht das bestmögliche damit zu erzeugen. ich habe erst sehr spät gemerkt, dass ich mich durch diese vorgehensweise selber sehr limitiere und es mir zu schwer mache.

ich bin ein jazz-kind. liebe dessen grundeinstellung. etwas, was man bisher unter seconds in formaldehyde sicherlich nicht raushören konnte. vielleicht kann man es selbst jetzt, unter meinem eigenen namen nicht raus hören, dennoch bin ich sehr stark vom jazz inspiriert. wahrscheinlich habe ich deshalb auch vermehrt am klavier komponiert. und gerade komponiert trifft es hier. mit seconds in formaldehyde habe ich früher eigentlich "ziellos" improvisiert und war froh, wenn am ende des tages etwas brauchbares dabei herumkam. diese herangehensweise hat sich drastisch verändert.

das dies zum teil dazu führt, dass der klang minimalistischer wird, ist für mich kein hindernis. ich habe mir aber auch nicht das ziel gesetzt, dass meine musik jetzt minimalistisch klingen soll. mark hollis hat einmal gesagt "Before you play two notes learn how to play one note - and don't play one note unless you've got a reason to play it". ein grundgedanke, der selbst wenn er noch so pragmatisch klingt, sehr zutreffend für meine musik ist.

außerdem möchte ich, so naiv wie es sich vielleicht anhören mag, kommerzieller klingen. weniger kommerziell im sinne von radio oder fernsehtauglich, sondern eine breitere masse ansprechend. weg von einem genre, hin zu einer vielzahl von verschiedenen.

teilweise komponiere ich die neue musik auch wie für einen film. ich habe fotos die ich gemacht habe neben mir liegen und überlege mir, was für atmosphären dazu passen würden. wie ich dieses bild oder foto am besten vertonen könnte. manchmal sind es auch textzeilen die mir einfallen. worte die mich in irgend einem sinne bewegen. diese enden dann auch öfters als titel für die stücke.

unruhr: wenn du deine bisherigen Vös als seconds in formaldehyde betrachtest, hast du doch eigentlich in kurzer zeit relativ viel auf interessanten labels veröffentlicht, darunter auch vom start an auf compilationen mit bekannten der szene. wie würdest du deine Vös werten? und: sind alle seconds in formaldehyde „von damals“ erschienen oder liegen noch dinge bei labels auf halde, weil sich der releasetermin verschoben hat?

martin fuhs: die möglichkeit, meine eigene musik zu veröffentlichen, ist eine wunderbare sache. darum bin ich auch diesen speziellen menschen die dies ermöglicht haben sehr dankbar. ich erwähne hier einfach noch mal ben fleury-steiner und dessen wunderbares musiklabel gears of sand, sowie Gianluigi Gasparetti und dessen label umbra. beides sind menschen, die zu beginn direkt vertrauen in mich und meine musik hatten. zu einer zeit, wo niemand meinen namen oder meine musik kannte. dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

wenn ich mir jetzt meine alten vö's anhöre bin ich unzufrieden. es wirkt auf mich, als wäre ich zu überstürzt an diese sache herangegangen. vielleicht ist das aber auch eine normale sichtweise wenn man musiker ist. am ehesten kann ich mich noch mit der 3"cd-r "construct" und meinem "suchness" beitrag anfreunden.

"unexposed" ist ein titel, der eigentlich auf einer split vö hätte erscheinen sollen. er wurde 2007 aufgenommen und ist jetzt als download auf meiner bandcamp seite zu finden. ich hatte dem label damals geschrieben, dass ich nicht mehr möchte, dass die musik veröffentlicht wird. daraufhin wurde diese veröffentlichung dann gestoppt. ansonsten habe ich keine musik mehr bei labels liegen, worüber ich auch relativ froh bin.

unruhr: wo wir bei der vergangenheit sind: was war denn vor seconds in formaldehyde? bands oder auch schon solo? oder war / ist seconds in formaldehyde dein erstes musikalisches outing? was hat dich beeinflusst?

martin fuhs: seconds in formaldehyde ist mein erstes musikprojekt gewesen. zuvor habe ich nur ein wenig halbherzig am computer mit software synthesizern rumgespielt. in bands habe ich auch nie gespielt. ich bin da sehr auf mich fixiert und kann nicht sonderlich gut kompromisse eingehen. was mich als bandmitglied dann irgendwie disqualifiziert.

beeinflusst wurde ich durch künstler wie robert fripp, william basinski, christian fennez, aidan baker und vielen anderen. ebenfalls sollte ich hier wahrscheinlich oliver doerell erwähnen, der einen großen einfluss auf meine musik hat. einer der wenigen künstler zu denen ich wirklich hinaufblicke. generell inspirieren mich auch fotos sehr stark. was auch erklärt warum ich gerne das passende artwork zu meiner musik suche.

unruhr: und noch mal „a shiver in red“: besonders schön ist ja, dass droehnhaus auch eine limitierte doppel-LP (ok, 1,5 LP) ermöglicht hat. bilde ich es mir nur ein oder sind die zwei stücke der bonus ein wenig elektronischer? sind damit alle stücke der „a shiver in red“ aufnahmephase erschienen oder ist diese platte ohnehin das ergebnis eines längeren prozesses, vielleicht sogar mit unterbrechungen?

martin fuhs: droehnhaus ist ein glücksgriff für mich und ich denke mir häufig, was für ein unverschämtes glück ich doch habe, jemand so loyales und erschreckend nettes hinter mir zu haben. die beiden stücke der bonus lp gehörten ursprünglich zum album. das heißt sie wurden in der gleichen phase aufgenommen. wir mussten uns dann aber für 2 titel entscheiden, die den weg nicht auf die normale vö schaffen (aus gründen von qualität der pressung). erst habe ich mich schwer getan etwas vom album "runter zuschmeißen". nach mehrfachen hören habe ich aber festgestellt, dass various color movements I und II besser als eigenständiges double zusammen passen. das sie elektronischer klingen kann ich nicht behaupten. beides sind live-looping experimente die ich bereits auf verschiedenen konzerten ausprobiert und im studio verfeinert aufgenommen habe. die digitale bearbeitung macht sie vielleicht etwas elektronischer. ich mag dieses grundrauschen und die verzerrung in beiden titeln. etwas das ich bewusst verstärkt habe.

unruhr: du hast auch das cover noch einmal überarbeitet; das jetzige mit einer fotografie von thomas ernst spiegelt schön die weite der musik. wann hast du beschlossen, das cover zu überarbeiten?

martin fuhs: ich bin erst nachträglich auf die fotografie von thomas ernst gestoßen. als ich an der dvd fassung von "a shiver in red" arbeitete, fielen mir thomas seine wunderschönen bilder auf. ich fragte ihn, ob er diese nicht für meine vö freigeben könnte und er tat es. ich habe mich beim ersten blick auf dieses covermotiv verliebt und bin froh, dass ich die möglichkeit bekommen habe, dieses bild zu verwenden. eben weil wie du schon sagtest, es die stimmung des albums sehr gut bildlich darstellt.

unruhr: thema live: als seconds in formaldehyde bist du ja auch auf verschiedenen festivals aufgetreten, eine live-aufnahme ist sogar als teil der (leider eingestellten) suchness-serie auf gears of sand erschienen; wie arbeitet seconds in formaldehyde live und wie wird eine live-umsetzung von „a shiver in red“ aussehen? wird es die überhaupt geben? und wie tritt martin fuhs auf?

martin fuhs: eine 1 zu 1 liveumsetzung der "a shiver in red" wird schwer. ich habe für das album erstmals mit mehr als nur 3 oder 4 spuren gearbeitet. außerdem habe ich fast komplett auf meinen looper im studio verzichtet. ich werde also ein paar backing tracks auf meinem laptop haben. über diese spiele ich dann mehrere spuren live und versuche so authentisch wie möglich stücke des albums wiederzugeben. teilweise wird es auch komplett neue kompositionen geben, die wahrscheinlich auf dem ersten album unter meinem namen erscheinen werden.

da ich nicht die möglichkeit besitze überall ein klavier mitzunehmen, werde ich für die stücke unter meinem namen mit einem keyboard vorlieb nehmen müssen. damit steuere ich dann eine sample-library auf meinem mac an. klanglich dürfte sich das nicht allzu viel nehmen. vielleicht besteht hin und wieder die möglichkeit, dass locations bereits ein klavier vor ort haben. das wäre natürlich ein traum. ich werde dann also gleichzeitig die klavier passagen spielen und mich um die digitale bearbeitung kümmern. vielleicht finden wir auch jemanden, der die klaviermotive für mich spielt, während ich die klänge dann in realtime bearbeite und mit der gitarre weiter akzente setze. das sind alles noch überlegungen die nicht ganz konktret sind, jedoch steht fest, dass ich mit dieser musik live auftreten werde und ehrlich gesagt freue ich mich riesig darauf.

unruhr: martin fuhs macht ja nicht nur selbst musik, zeitgleich mit seconds in formaldehyde hattest du mit waterscape dein eigenes label gegründet. war das am anfang auch einfach als sprungbrett für seconds in formaldehyde gedacht? unabhängig davon hast du ja in kurzer zeit eine vielzahl interessanter Vös, fast ausschließlich auf 3“ CD-r gemacht, die mit ihren jeweils rund 20 minuten und der strikten labelpolitik in sachen sound eine (weitere) schöne serie zum thema ambient / drone darstellen. wie hast du die zum teil ja durchaus bekannten künstler für dein damals neues label begeistern können? und: wie sind deine pläne mit waterscape für die zukunft?

martin fuhs: zu vielen der künstler hatte ich bereits vorher kontakt aufgenommen. mit paul bradley zum beispiel hatte ich bereits bevor es mein label gab über eine mögliche veröffentlichung gesprochen. das gleiche gilt für aidan baker, mit dem ich sogar eine zeitlang an einer kolaboration gearbeitet hatte. er hatte mir material von sich geschickt was ich dann bearbeitet habe. das hat sich allerdings irgendwann verlaufen und wurde nie wirklich fertig. ansonsten habe ich die meisten künstler persönlich kontakiert und sie gefragt, ob interesse besteht. das funktionierte eigentlich alles ziemlich problemlos.

seit einiger zeit passiert nicht viel auf waterscape. erstens weil ich kaum noch zeit für das label finde und zweitens weil es auch kostenintensiv ist, so etwas am leben zu halten. ich spiele momentan mit dem gedanken, dem label eine art sublabel für eher beat-orientierte ambient/electronica musik zu spendieren. das steht aber noch in den sternen.

unruhr: letzte frage: welche (VÖ-) pläne hast du für die nächste zeit? was können wir erwarten? gibt es pläne für weitere soundliche erweiterungen, kollaborationen...? und was macht martin fuhs, wenn er keine musik macht?

martin fuhs: im moment ist nichts genaues geplant. ich weiß jedoch, dass sobald das solo album fertig ist, ich mich auf droehnhaus verlassen kann und es eine veröffentlichung auf vinyl und cd geben wird. einen genauen zeitpunkt dafür gibt es nicht und ich setze mich da auch selber nicht unter druck. wenn ich eines aus meinen früheren fehlern gelernt habe, dann, dass ich für ein album zeit brauche. jedenfalls habe ich bereits genug material was ich bearbeiten kann (einiges davon kann man ja bereits auf meiner homepage hören). es kommt immer darauf an wie oft ich zeit finde an der musik zu arbeiten. mit etwas glück erscheint das album vielleicht schon ende des jahres oder früher.

wenn ich keine musik mache gehe ich wie die meisten menschen meiner täglichen arbeit nach. lese gerne bücher, kümmere mich um meine 2 katzen und bin leidenschaftlicher mixed martial arts fan. letzteres kommt meiner passion für musik schon sehr nah. im laufe der letzten 4 jahre hat sich diese liebe immer mehr entfalten können.

ich danke dir für das nette interview.


schöne grüße

N

www.martinfuhs.com

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