Molotov Jive: "Jetzt geht es mehr um die Musik und weniger um unser Aussehen"

AntonAnnersand und Johan HanssonVor einem Jahr haben wir uns schon einmal mit Anton Annersand und Johan Hansson von Molotov Jive unterhalten. Nun, ein Album und viele Auftritte später, hatten wir wieder das Vergnügen.

Bis zu ihrem Zweitling „Songs for the Fallen Apart", der in Juni dieses Jahres in die Läden kam, mussten sich die vier Schweden zu Recht Vergleiche mit ihren Landsmännern Mando Diao oder deren kleinen Brüdern Sugarplum Fairy gefallen lassen, doch mit dem neuen Album gelingt es ihnen, sich aus deren Schatten herauszuspielen und mehr Gehör zu verschaffen. Und wenn man einmal einen Blick auf die früheren Begleiter von Razorlight und den Dirty Pretty Things wirft, die auch Molotov Jive unterstützen durften, kann man unken, welchen Weg diese Band noch gehen wird.

Bei unserem diesjährigen Treffen standen dann auch Themen wie die Erlebnisse des vergangenen Jahres, der Ausblick auf zukünftige musikalische Erzeugnisse und lustige Tourerlebnisse auf dem Plan.

Was ist denn so alles in eurem Leben passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?
Johan: Eine Menge!
Anton: Das war unsere letzte Headliner-Tour durch Deutschland, oder?
J: Ja.
A: Danach sind wir nach Hause gefahren und haben auf dem "Where the Action Is" gespielt, einem großen Festival in Stockholm. Es war das erste Mal, dass wir auf einer Mainstage standen, und das neben Bands wie den Foo Fighters und Dinosaur Jr. Es war eine großartige Erfahrung. In dem Sommer haben wir hauptsächlich auf schwedischen Festivals gespielt und auf ein paar deutschen.
J: Wir haben neue Lieder geschrieben und unser Album aufgenommen.
A: Hatten wir das nicht schon aufgenommen?

Molotov JiveJa, wir haben das letzte Mal schon über euer zweites Album gesprochen. Ihr habt erzählt, dass es gerade in der Mischung ist.
A: Stimmt. Auf jeden Fall haben wir das Album veröffentlicht und die Single "Paint the City Black". Wir waren vorher nie viel im Radio gespielt worden. Doch "Paint the City Black" wurde von P2, dem größten staatlichen Jugendradiosender in Schweden von Oktober bis Mai, also fast ein halbes Jahr, durchgehend gespielt. Das hat unseren Bekanntheitsgrad in Schweden um einiges gesteigert. Außerdem haben wir eine Menge Pressearbeit für das Album "Songs For the Fallen Apart" gemacht. Wir hatten eine viel Spaß auf einer Tour durch Skandinavien, die wir diesen Frühling gemacht haben. Letzten Herbst haben wir übrigens Razorlight und die Dirty Pretty Things auf ihren Tourneen durch Skandinavien begleitet. Es war toll, weil wir so einige unserer Helden kennengelernt haben. Carl Barât von den Dirty Pretty Things war so etwas wie mein Held als ich aufgewachsen bin. Es war ihre letzte Tour. Sie waren total nett und mochten uns und unsere Lieder.

Lasst uns jetzt mal über euer neues Album reden. Letztes Jahr habt ihr schon gesagt, dass es euch diesmal mehr darum gegangen ist, eine Geschichte zu erzählen. Das Album ist ja auch aufgebaut wie ein Buch, es hat einen Prolog und einen Epilog. Sollte es strukturell an ein Buch erinnern?
A: Ja, das sollte es. Als ich anfing, Texte zu schreiben, ging es mir nur darum, dass sie sich auf Englisch cool anhören, aber dieses Mal sollten sie wirklich etwas bedeuten. Auf dem Album geht es um Veränderung und darum, dass man Dinge, die man liebt, zurücklassen muss, um seinen Platz zu finden und sich als Mensch zu entwickeln. Das war genau das, was die Band damals durchgemacht hat und auch ich persönlich. Die Texte sind sehr autobiographisch. Das neue Album klingt größer.

Und eigenständiger. Es erinnert mich nicht mehr so sehr an andere schwedische Indie-Bands wie eure Freunde von Sugarplum Fairy. Es wirkt so, als hättet ihr euren eigenen Sound gefunden.
A: Das denke ich auch. Und wir haben erkannt, was Molotov Jive sein soll. Das erste Album war eine Sammlung der besten Songs, die wir seit unserem Bestehen geschrieben hatten. Manche davon hatte ich geschrieben, als ich 16 war. Jetzt bin ich 23 und kann solche Lieder nicht mehr schreiben. Außerdem tragen wir unsere Einflüsse nicht mehr so sehr zur Schau. Ich mag unser erstes Album aber trotzdem noch sehr, es sind tolle Lieder drauf. Man kann ganz klar hören, dass wir bei dem einen klingen wollten wie The Who, bei einem anderen vielleicht wie die Beatles.

Anders WennbergEs war quasi ein typisches Debütalbum. Das neue ist das typische zweite Album, bei dem die meisten Bands ihren Weg finden und einen eigenen Sound entwickeln.
A: Ich bin so zufrieden mit "Songs for the Fallen Apart". Es ist auch so viel besser angekommen.
J: Anders als beim ersten Album hatten wir eine Vorstellung davon, wie es klingen sollte und wie wir es umsetzen würden. Auch das Artwork.

Habt ihr das Album auch selbst produziert?
A: Nein, wir hatten einen Produzenten. Tom Hakava. Er ist ein totaler Fan vom analogen Aufnehmen. Er denkt, es seien die 60er. Er lebt auch wie in den 60ern und zieht sich an wie Brian Jones. Er hat nicht mal ein Telefon.

Ihr hattet das letzte Mal auch schon erzählt, dass ihr alles auf Band aufgenommen habt.
A: Ja, wir haben alles analog aufgenommen und live. Sogar einige Gesangspartien sind live. Wir haben sehr viel live gespielt und wollten einfach keine Computer und kein Protools.
J: Wir wollten die Energie unserer Live-Shows einfangen.
A: Man kann hören wie wir in manchen Songs langsamer werden und dann wieder schneller. Dadurch wird alles viel lebendiger. Jetzt sind wir in Skandinavien und Deutschland mit dem Album auf Tour, und es läuft richtig gut. Dabei haben wir auch bemerkt, wie sich unsere Fanbase verändert hat.

Danach wollte ich auch noch fragen, denn letztes Jahr meintet ihr, ihr wolltet eure Fanbase etwas ausweiten auf mehr männliche Mitglieder.
J: Scheinbar hat das auch funktioniert. Auf dieser Tour haben wir bestimmt schon 15 Konzerte gespielt, und da waren es meistens 50:50 Mädels zu Jungs.
A: Ja und auch mehr ältere Leute, nicht nur 17-jährige Mädchen. Das liegt einerseits sicher daran, dass sich unsere Musik verändert hat, aber auch daran, dass die Leute, die uns schon früher gut fanden, mit der Band älter geworden sind. Es ist gut und war auch mit unsere Entscheidung, uns in eine andere Richtung zu entwickeln. Auch wenn wir jetzt manchmal die Schreie und Beatlemania-artigen Zustände vermissen. (lacht) Das gibt es zwar auch noch ab und an, aber nicht mehr so oft. Als wir auf der ersten Tour nach der Show am Merchandise-Stand waren, mussten wir mindestens eine Stunde lang Fotos von uns machen lassen. Die Show dauerte eine Stunde, und danach mussten wir noch eine oder eineinhalb Stunden Autogramme geben.
J: Das war fast so anstrengend wie auf der Bühne zu stehen.
A: Jetzt denke ich - oder ich sage es mir zumindest -, geht es mehr um die Musik und weniger um unser Aussehen.

Oskar OlofssonWas mir beim aktuellen Album auch aufgefallen ist, ist ein gewisser Dualismus: fröhliche Musik, melancholische Texte. Das ist für mich auch ein Zeichen für das Erwachsenwerden: Man erkennt, dass das Leben nicht nur eine große Party ist, sondern es auch noch anderes gibt.
A: Ja, das meiste ist in Dur, es gibt nur weniges in Moll, aber die Texte geben dem Ganzen eine melancholische oder nachdenkliche Note. Es ist eine Art von Selbstbetrachtung und Analyse, wie man sich verändert hat und was man geworden ist, aller guten Dinge, die man getan, und Fehler, die man begangen hat. Ich versuche darüber zu schreiben, was ich kenne und was ich selbst erlebt habe. Deswegen haben auch The Clash und Bruce Springsteen diese Platte beeinflusst. In der Dokumentation über The Clash heißt es, man soll über das schreiben, was man kennt. Nur weil sie das taten, wurden sie zu einer so bedeutenden Band. Das ist etwas, mit dem ich mich absolut identifizieren kann.

Arbeitet ihr auch schon an neuem Material?
A: Ja, das tun wir.

In welche Richtung bewegt sich das? Was können wir erwarten?
J: Es geht in dieselbe Richtung, wird aber noch größer.
A: Am Anfang ist jede Band ein Rohdiamant oder ein Stück Kohle.

Genau so beschreibe ich das auch immer.
A: Dann muss er geschliffen werden, damit man sich zu dem entwickelt, was man wirklich ist. Ich habe jetzt ungefähr 18 Lieder geschrieben.

Das wird dann jetzt das Diadem, in das all diese kleinen Diamanten eingefasst sind.
A: Ich weiß nicht, vielleicht. Es ist schwer zu sagen, weil wir uns noch mitten im Entstehungsprozess befinden. Es geht so ungefähr in die Richtung von "Songs for the Fallen Apart", aber noch weiter. Man ist ja schnell gelangweilt von dem, was man gerade macht. Jeder Mensch definiert sich ja ständig neu. Und das muss man auch. Man muss immer einen Schritt vorwärts gehen. Aber die Tour läuft wirklich gut. Es ist die bisher beste. Wir verstehen uns so gut.
J: Bisher haben wir uns noch nicht gestritten.
A: Wenigstens nicht körperlich. (lacht) Wir waren ja schon vorher zusammen unterwegs und kennen uns sehr gut. Ich will auch nicht sagen, dass wir älter werden oder reifer, aber wir haben unsere Egos zurückgefahren. Auch ich, mit dem größten Ego der Gruppe. Wir sind selbstbewusster in Bezug auf das, was wir tun. Auf der ersten Tour war alles toll und kostenlos. Es war so anstrengend, weil man alles getrunken hat, was einem angeboten wurde. Man verliebte sich jede Nacht in jeder neuen Stadt. Jetzt sind wir als Band wie eine Familie, wie ein Wanderzirkus.
J: Wir kennen uns so gut, dass wir uns gegenseitig oder uns selbst nichts mehr beweisen müssen.
A: Wir wissen, was wir gut können, und so kann jeder seinen Part ausfüllen. Ich will aber nicht sagen, dass wir erwachsen geworden sind. Bands, die das von sich behaupten, fangen meistens an Mid-Tempo-Sachen und Solos zu spielen. Unsere Art, erwachsen zu werden, ist, uns gegenseitig Freiraum zuzugestehen und nicht zu langweilen.
J: Wir konzentrieren uns mehr auf das, was wir machen.
A: Ich spiele auf der Bühne auch immer weniger Gitarre. Ich benutze sie eher wie an Accessoire und schrammel nur ein wenig auf ihr rum, weil ich weiß, dass ich es nicht muss, weil ich eine sehr gute Band im Rücken hab. Ich glaube, diese Tour ist auch die bisher lustigste.

Anton AnnersandWas war das Lustigste, das euch bisher passiert ist?
A: Gestern in Wien mussten wir unseren Bus einen Hügel runter anschieben, weil die Batterie tot war. Wir haben jetzt einen Fernseher im Bus.

Wow!

A: Da kannst du mal sehen, wie wir aufgestiegen sind. (lacht) Aber wenn man ihn anlässt, wenn der Bus nicht läuft, dann ist die Batterie irgendwann leer. Ich hoffe, der Bus macht's noch bis zum Ende der Tour. Wir sind auch in Hamburg bestohlen worden.
J: Du zählst ja nur schlechte Dinge auf.
A: Aber die machen das Abenteuer aus. Wir werden uns immer an diese Tour erinnern.