Astra Kid: "...schau' Dir einfach unsere Definition von AstraKid an."

jetzt mehr astra als kidMir fallen spontan nur altbewährte Metaphern ein, um das neue Album „Stereo“ von Astra Kid zu beschreiben: erwachsen, ausgereift, dicht, klar und gut. Warum soll ich mir gleich zu Beginn schon wieder verschwurbelte Wortgewitter abringen? Die vier (Stefan Götzer - ges/git, Christian Götzer – git/ges, Andre Raschke – bas, Marc Baumann – dr). haben einfach eine neue Stufe ihres musikalischen Oeuvre erreicht. Da ist kein Takt zuviel, keine Struktur zu kompliziert, kein Song zu lang (eine Wohltat heutzutage). Trotzdem fehlt es nicht an Dynamik.

 

Ein gutes Beispiel dafür ist gleich der Opener „Komm an“ oder auch „Monokultur“. Gut verknotete Harmonien lösen sich plötzlich auf in flüssige und teils wirklich mitreißende Pop- und Rocksongs. Akkorde und Gitarrenläufe fliegen wie aufgewirbelte Blätter an einem vorbei, tanzen manchmal im Wind, ruhen dann wieder, werden zusammengekehrt, um schließlich doch wieder verblasen zu werden. Dennoch lassen sie sich mühelos einfangen. Alles wirkt frisch, spielfreudig, aufgeweckt und klug komponiert. Fast wie ein Live-Konzert, womit wir wohl bei der eigentlichen Stärke von Astra Kid sind.

Eine derartige Präzision im Spiel, diese energetischen Eingriffe in den Hormonhaushalt kann man nur tätigen, wenn man sich live auch taub verstehen würde. Astra Kid sind eine gute Live-Band und das schlägt sich endlich auch in der Studioproduktion (produziert von Hannes Jaeckl) nieder.

Anhörlich sind auch die geradezu archetypischen Gitarrensounds. Ständig hat man das Gefühl, gerade diesen Sound schon in anderen Produktionen gehört zu haben, und doch fällt einem nicht ein, wo. Unbedingt reinhören in den Roaar von „Klingen bringen“ und in „Yeah, Yeah, Yens“.

Auch textlich hat sich etwas getan. Die einzelnen Lieder kommen größtenteils etwas ernster daher, aber es wird nicht so tief in die Poesiekiste gegriffen, dass keiner mehr versteht, worum es eigentlich geht. Aus dem Bauch über die Zunge ins Leben. Das ist der natürliche Weg der astralen Poesie. Ohne Umschweife.

Könnte sein, dass die musikalische Reife auch mit einer persönlichen Reife der Astra Kids einherging. Nicht das Schlechteste für eine Band und für die Zukunft. Transformation geschafft. Das haben sogar die Dudelfunker von EinsLive bemerkt und die Band nach Berlin zur Popkomm einzuladen, um das Land zusammen mit Klee zu repräsentieren.

astra kidDarüber freut sich auch André Raschke (…wenn die wüssten.“), dem wir ein paar Gedanken zur aktuellen Musik der Band, zum Ruhrgebiet, aber auch einige kritische Bemerkungen zum Schubladendenken abgerungen haben.

UnRuhr:
Euer neues Album klingt im positiven Sinne sehr einfach, klar und unaufgeregt, sowohl textlich als auch musikalisch, und zeugt dabei gleichzeitig von einem sehr guten Songwriting auf durchgehend hohem Niveau. Scheint so, als wärt ihr einen Schritt voran gekommen, etwas reifer geworden. Seid ihr damit selbst dort angekommen, wo ihr hin wolltet? Der Opener eures Albums hört sich fast so ein wenig danach an.

André:
Stimmt genau! "Stereo" ist die Essenz dessen, was Astra Kid ausmacht. Während man zur letzten Platte "Müde, ratlos, ungekämmt" sagen kann, dass es eher in einer Zeit entstanden ist, wo wir uns noch uneins darüber waren wo es hingehen soll, so ist in "Stereo" genau der Sound bzw. das Songwriting eingeflossen, den wir vermitteln wollen.

UnRuhr:
Wie würdest du euren Stil selbst beschreiben?

André:
Wir haben uns immer schwer getan (tolles Wort), eine Musikrichtung zu finden und im Endeffekt ist doch alles "nur" Rockmusik mit deutschen Texten - FERTIG!

UnRuhr:
Und welche Diskussionen mussten geführt werden, um hierhin zu kommen?

André:
Wenn Du die Diskussion über die Musikrichtung meinst, so fängt es immer mit Vergleichen an. Z.B."Hamburger Schule meets Punk" oder so ähnlich. Aber schau' Dir einfach unsere Definition von "AstraKid" an und man erkennt schnell, dass man gar nicht so lange diskutieren muss. Letztendlich liegt es bei den Medien, sich irgendwelche neue (zur Zeit ist es die "Neue Deutsche Welle") Ausdrücke einfallen zu lassen und da wird der Fantasie keine Grenzen gesetzt, was manchmal ganz schön nerven kann (der Ausdruck "Grunge" z.B....oh weia!).

UnRuhr:
Ihr scheut im Prinzip auch nicht vor den stadiontauglichen Melodien zurück, überschreitet aber nie die Grenze zum großen Kitsch oder zum Firlefanz. Habt ihr eigentlich so etwas wie Leitlinien oder Grenzen beim Songwriting?

André:
Nein, wir setzen uns nicht in den Proberaum und diskutieren erstmal über die Art und Weise, wie neue Songs für das Album geschrieben werden, bzw. in welche Richtung sie gehen sollen. Es kann vorkommen, dass erst der Text da ist, dann die Musik, oder das jemand aus der Band mit einer ganz konkreten Idee in den Proberaum kommt. Aber Leitlinien a la "der Song sollte in die Richtung von der Band XY" gehen" gibt es nicht. Aber jeder bringt i.d.R. seine Einflüsse in den Song ein. Aber wie gesagt, es kann auch vorkommen, dass ein Song mit einer ganz konkreten Idee eines Bandmitgliedes verbunden ist.

UnRuhr:
In vielen Songs steckt durchaus auch Sendungsbewusstsein, z.B. in "Monokultur". War/ist die Zeit reif dafür? Was hat euch dazu bewogen?

André:
Bei "Monokultur" war es so, dass wir mal einen Text präsentieren wollten, der von Leuten handelt, die eine doch recht engstirnige Denkweise haben. Da wir zu den Bands gehören, die die Leute ziemlich polarisieren, war es an der Zeit, diesen Leuten mal eine Antwort auf deren - doch oft - unkonstruktive Beiträge zu geben.

UnRuhr:
Warum genau polarisiert ihr die Leute? Womit? Und auf wen genau spielst du damit an?

André:
Warum wir die Leute polarisieren, kann ich leider überhaupt nicht sagen. Ich habe oben die Vergleiche angesprochen und da geht’s dann auch schon los. Es heißt dann z.B. die klingen aber wie "Sportfreunde", nur in schlecht (oder gut) und dann wird einem der berühmte Stempel aufgesetzt und fertig. Aber wer eine unserer Platten mit denen der Sportfreunde vergleicht, sollte - unserer Meinung nach - recht schnell und einfach einen Unterschied feststellen. Andererseits gibt es auch das Gegenbeispiel, dass man für besser befunden wird und so findet dann zwischen den Lagern die Spaltung statt (zumindest ist das meine eigene persönliche Meinung und die kann innerhalb der Band variieren).
Der Song spricht vor allem die Leute an, die ein größeres Sprachrohr als andere Leute haben und meinen - beispielsweise durch irgendwelche Publikationen in den verschiedensten Medien - durch ihre Meinung (die sie ja rechtmäßig frei äußern dürfen und sollen) anderen ein vielleicht falsches Bild vorzugaukeln. Einfach ausgedrückt: Bevor man sich ein Urteil über irgendeine Sache bilden kann, sollte man sich auch ausgiebig mit der Sache auseinandersetzen, um seine Äußerungen fehlerfrei gestalten zu können. Ich hoffe, dass war jetzt nicht allzu umständlich ausgedrückt, aber ein Song lebt ja von seiner freien Interpretation.

UnRuhr:
Ihr seid ja schon ein paar Jahre im Geschäft und gehört schon fast zum "Establishment". Ärgert es euch, dass die Musikindustrie mit einigen der neuen Klon-Bands auf die aktuelle Deutsch-Singsang-Welle aufspringt?

André:
Wenn ich ehrlich darüber nachdenke, so ist momentan wirklich unheimlich viel los auf dem Markt, was deutschsprachige Musik angeht. Aber wir ärgern uns nicht, denn es geht ja auch hier (wer hätte es gedacht) um eine Menge Geld. Traurig ist dann nur, dass die Qualität unter den vielen neuen Bands stark nachlässt (zumindest meistens).

UnRuhr:
Könnt ihr eigentlich von eurer Musik leben?

André:
Leben schon. Aber würden wir Hartz IV beantragen, käme mehr dabei raus. Kein Scherz!

UnRuhr:
Man soll das Thema im Prinzip nicht überstrapazieren, aber: Warum schaffen es so wenig Bands aus dem Ruhrgebiet, mal über die hiesigen Grenzen hinaus bekannt zu werden? Was habt ihr anders gemacht?

André:
Mmmmh. Das ist eine Frage, die wir uns auch schon oft gestellt haben. Aber da gehen die Meinungen weit auseinander. Es ist enorm wichtig, dass man eine Menge (wichtige) Leute kennen lernt und davon laufen im Pott leider nicht so viele rum. Da sieht es in Berlin schon anders aus, oder in Hamburg. Aber wir sind Kinder des Ruhrgebietes und sind der Meinung, dass man es auch von hier aus schaffen kann, denn schließlich haben die Städte zwischen Ruhr und Lippe einiges zu bieten!

UnRuhr:
Welche wichtigen Leute meinst du? Labelbetreiber, Veranstalter usw. oder auch andere Künstler? Und wenn wir schon mal beim Thema sind: Wer kümmert sich um euer Management und den ganzen administrativen Kram? Macht ihr das selbst oder habt ihr Unterstützung? Manchmal kommt mir das bei euch auch so ein wenig wie ein Familienbetrieb vor.

André:
Vorwiegend meine ich die Leute aus der Musikbranche, d.h. v.a. Musiker und Veranstalter, Booker, A&R-Leute aus den Label-Betrieben, usw.
Bei uns kümmert sich eine Booking-Agentur "Amadis" (www.amadis.net) um die Konzerte, das Label V2 (www.v2music.de) um die Plattenherrstellung/-Promotion und ein Verlag "Wintrup" (www.wintrup.de) um die Verlagsrechte. Dann gibt es da noch einen Vertrieb "Rough Trade", der die CDs letztendlich in den Laden bringt. Ist ziemlich viel, aber so läuft’s halt.
Eine Band kann man sich wirklich wie ein Familienbetrieb vorstellen. Jeder hat so seine Aufgaben. Bei uns ist eigentlich alles gerecht aufgeteilt, wobei das Meiste (damit ist im Schnitt 2 Std. telefonieren pro Tag gemeint) der Pele macht. Der Marc (unser Drummer) kümmert sich ums Finanzielle und macht die ganzen Grafik-Sachen und ich kümmere mich um die GEMA-Klamotten und den technischen Kram.

UnRuhr:
In Städten wie Berlin und auch Hamburg entstehen schon die etwas schrägeren Sachen. Das Ganze wirkt etwas innovativer, dynamischer, cooler. Was muss sich im Ruhrgebiet ändern? Mehr Selbstbewusstsein? Abschied vom Arbeiterimage? Mehr Mut? Mehr Lockerheit?

André:
Das Arbeiterimage ist eigentlich das, was den Pott ausmacht und was man auch nach außen tragen kann bzw. muss! Der Christian trägt ja auf der Bühne oft seine Unterhemden :-)
Im Pott müsste sich eigentlich nichts ändern.

UnRuhr:
Nie mal den Gedanken gehabt, das Ruhrgebiet zu verlassen?

André:
Wie gesagt: "Kinder des Potts" und deshalb würde ich das Ruhrgebiet nicht freiwillig verlassen. Da müsste dann schon ein wichtiger Grund her, wie eine Freundin in einer anderen Stadt oder ein Arbeitsplatzwechsel!

UnRuhr:
Seid ihr oder einige von euch auch noch in anderen musikalischen Projekten aktiv?

André:
Nein, momentan nicht.

UnRuhr:
Existiert "Yeah, Yeah, Yens" wirklich? Und was ist aus ihm geworden?

André:
Den Jens hat es zwar namentlich nicht in dem Sinne gegeben, aber die Figur (über die gesungen wird) gibt es tatsächlich - nämlich der Pele, unser Sänger. Sagt er aber auch manchmal an, bevor wir den Song spielen. Es geht darum, dass manche Personen nie ihren Arsch hoch kriegen und einfach mal einen Ruck brauchen, so wie Pele eben.

UnRuhr:
Könnt ihr nicht am 16. Juli für uns ein Interview mit Maximo Park machen? Ist sonst schwer für uns, an die ran zu kommen.

André:
Wir? Lieber nicht, denn da müssten wir englisch reden und das wird immer ganz peinlich ;-))

UnRuhr:
Jetzt weiß ich auch, warum ihr nie auf die Idee gekommen seid, englisch zu singen.
Danke für das Interview.

 

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