Das Kickeristische Manifest

Pöletarier aller Länder, vereinigt euch!Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Kickerismus.
Alle Fußballmächte des alten Europa haben sich zu einem heiligen Konter gegen dieses Gespenst verbündet, der Kaiser und seine Vasallen, das Kapital und seine Büttel, deutsche Politiker und Funktionäre. Doch der Kickerismus wird bereits von allen Kräften als eigene Macht anerkannt. Es ist hohe Zeit, dass die Kickeristen ihre Anschauungsweise, ihre Tendenzen vor der ganzen Fußballwelt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kickerismus ein Manifest entgegenstellen. Zu diesem Zweck haben sich die Kickeristen im Unruhrgebiet versammelt und das folgende Manifest zur Fußball WM 2006 niedergeschrieben.

Die Geschichte des bisherigen Fußballs ist die Geschichte ehrenhafter Rasenschlachten. Ballkünstler und Fußballarbeiter, Liberos und Viererketten, Spielmacher und Wasserträger, Gegner und Schiedsrichter, Stürmer und Verteidiger, Nord- und Südkurve, kurz, das ganze Fußballvolk stand stets zueinander und führte einen ehrlichen, offenen, sportlichen Kampf, der immer mit einem versöhnlichen Miteinander aller Klassen endete. Fußball war ein fairer Wettkampf, in dessen Mittelpunkt das Spiel stand.

Doch die aus dem Untergang der Aufklärung hervorgegangene fußballkapitalistische Gesellschaft hat diese alten Regeln aufgehoben, sie zur Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt und das obszöne Streben nach Geld an die Stelle der Spielidee gesetzt. Unsere Epoche, die Epoche der Funktionärsdiktatur, zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Fußballgeoisie und Pöletariat*.

In dem selben Maße, in dem sich die Ballgeoisie, das Fußballkapital, entwickelt, in dem selben Maße entwickelt sich das Pöletariat, die Klasse der spielenden Fußballer, die nur so lange leben, als sie ins Spiel finden, und nur so lange ins Spiel finden, als sie vom Kapital nicht korrumpiert werden.

Die Spielfreude der Pöletarier hat durch die Ausdehnung der kapitalistischen Maschinerie und die Gleichschaltung aller Profiteure allen selbstständigen Charakter, alles Lokalkolorit, alles Regionale verloren. Die Pöletarier sind bloße, dem Spiel entfremdete Staffage, die der gewissenlosen Gewinnmehrung weniger Konzerne und Weltverbände dienen sollen. In dem selben Maße, in dem die Widerwärtigkeit dieser Machenschaften wächst, nimmt die Spielfreude der Pöletarier ab.

Nicht jedoch deren revolutionärer Geist: Denn von allen Klassen, die heute der Ballgeoisie gegenüberstehen, ist das Pöletariat das einzig revolutionäre. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter. Die angepassten Hedonisten, die Etablierten, die Kosummaterialisten, die liberalen Intellektuellen, die beliebigen Postmodernen, Duckmäuser und träge Fernsehfußballer, sie alle passen sich der Ballgeoisie an, um ihre Existenz vor dem Untergang zu bewahren. Schlimmer noch: Sie stimmen ein in den Chor der monetaristischen Heilsprediger, suchen in einem einfachen Spiel tiefere Bedeutungen, pseudo-kulturelle und debil-intellektuelle Deutungsmuster und versuchen sie zu ihrem eigenen Profit in Lesungen, Ausstellungen, Filme, Theaterstücke und sonstige Peinlichkeiten zu pressen. Diese Klassen sind nicht revolutionär, nicht einmal originell, sondern konservativ, reaktionär und vom monetaristischen Virus besessen.

Alle bisherigen Bewegungen gegen die Ballgeoisie waren Bewegungen von Minoritäten. Die jetzt auferstehende pöletarische Bewegung ist die selbstständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl. Das Pöletariat, die Basis der jetzigen Fußballgesellschaft, kann sich nicht erheben, nicht aufrichten, ohne dass der ganze Überbau gesprengt wird.

Das Pöletariat wird seine künftige Herrschaft dazu nutzen, der Ballgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, dass es ihm einst genommen hat, es zu zentralisieren und zu gleichen Teilen in fußballerische Infrastruktur und Vereine zu investieren, die es verdient haben.

Dies kann natürlich nur geschehen mittels despotischer Eingriffe in die ballgeoisen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die in den Augen der Fußballfunktionärsdiktatur ökonomisch und gesellschaftlich unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der Verhältnisse unvermeidlich sind:

1. Gleicher und anonymer Eintritt zu allen Spielen aller Meisterschaften.

2. Freier Verkauf aller Karten.

3. Verbannung aller Sponsoren und Profiteure aus dem Stadion.

4. Aufhebung jeglicher Bannmeilen.

5. Verbot eines Lizenzen- und Lumpentums.

6. Verkauf lokaler, sauber gebrauter Biersorten.

7. Verkauf von Bratwürsten aus regionaler Produktion.

8. Das Recht auf Unfreundlichkeit und die Beendigung jeder obrigkeitsstaatlich verordneten und daher aufgesetzten Freundlichkeit. Stattdessen regionale Authentizität.

9. Verbot von Sportwetten, die der Durchsetzung des neoliberalen Ausbeutertums, der Kriminalisierung und der Korruption dienen.

10. Öffentlich geförderte und unentgeltliche Erziehung aller Kinder zu anständigen Straßenfußballern.

11. Öffentlich geförderter Bau von Bolzplätzen.

12. Sofortiger Rücktritt der gesamten Fußballfunktionärsdikatur.

13. Verbandspräsidenten, Nationalmannschaften und Nationaltrainer werden in geheimer, gleicher und direkter Wahl vom Fußballvolk (auch Frauen) gewählt.

14. Einberufung einer Übergangsführung bestehend aus qualifizierten Pöletariern, um die Würde des Spiels wieder herzustellen und freie Wahlen vorzubereiten.

Auf Deutschland und die Fußball WM 2006 richten die Kickeristen ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend einer gewaltigen kapitalistischen Obszönität steht und eine pöletarische Umwälzung unter fortgeschrittenen De-Zivilisierungstendenzen größte Aussicht auf Erfolg hat.

Die Kickeristen verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den Umsturz der bisherigen Fußballfunktionärsdiktatur. Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kickeristischen Revolution zittern. Die Pöletarier haben nichts weniger zu verlieren als ihre Viererketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

PÖLETARIER ALLER LÄNDER, VEREINIGT EUCH!

 

 

 

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* („pölen": im Ruhrgebietsidiom Ausdruck für Fußball spielen)