Grégoire, freundlicher junger Gelegenheitskleinkrimineller aus Paris, entreißt zusammen mit einem Freund einem alten Mann die Tasche. Die Beute entpuppt sich als so reich wie grausig; neben 30.000 Francs birgt die Tasche die unheilschwangeren Utensilien, die ein Kochbuch der schwarzen Magie als Zutaten auflisten mag: Tiergebeine, Haare, Blut, gemörserte Menschenzähne. Das Unheil lässt auch nicht lange auf sich warten: Am folgenden Morgen findet Grégoire seinen Freund tot und sich selbst und das Diebesgut im Visier des irren Alten. Die beiden haben sich ausgerechnet einen Massenmörder, bekannt als der Widder, als Opfer ihres Diebstahls ausgeguckt.
So weit, so klassisch liest sich die Handlung. Doch „Das Zeichen des Widders" der französischen Autorin Fred Vargas, die auch hierzulande schon lange kein Geheimtipp mehr ist, ist kein traditioneller Kriminalroman. Hier werden stattdessen zwei durchaus unterschiedliche Genres zusammengebracht und die Flucht vor und Jagd auf den Verbrecher in Comicform gegossen.
Die Bilder stammen aus der Feder des französischen Künstlers Baudoin. Knollennasen und testosterongeformte Superheldenkörper sucht man hier vergeblich: Der schlaksige Grégoire blickt verloren durch seinen dunklen Pony in die Welt; der melancholische und ziemlich eigenwillige Kommissar Adamsberg (bekannt aus anderen Romanen von Vargas) wird in wenigen Strichen charakterisiert mit markanten Gesichtszügen und umflorten Blick. Dass dem Bösewicht Grausamkeit und Wahnsinn so offensichtlich in die sinistre Visage geschrieben stehen, mag man für treffend oder etwas zu viel des Guten halten. Die skizzenhaften Zeichnungen geben den Figuren Tiefe und unterstreichen den zuweilen dunklen, zuweilen skurrilen Charakter dieser Geschichte.
Der Text ist auf die Dialoge der Figuren reduziert und mag daher Freunden umfangreicher Krimischmöker zu sparsam sein. Doch wie in Vargas neun bereits erschienenen Kriminalromanen wird auch in dieser Graphic Novel das Figurenarsenal gegen den Strich gebürstet und lässt Raum für einige liebenswerte Nebenfiguren: Grégoires Vater, von dem niemand weiß, welchen seiner vier (Zieh-)söhne er nun tatsächlich gezeugt hat, verbringt seine Tage damit, den Vierströmebrunnen von Bernini aus Bierdosen und Kronkorken neu zu erschaffen. Und einzige Begleiterin Grégoires auf seiner Flucht ist Calamity Jane, das Hühnchen mit der Westernseele. Fazit: Ein außergewöhnlicher Krimi, der auch dem Genre der Graphic Novel neue Perspektiven eröffnet.
Aufbau Verlag, 2008
222 Seiten, ISBN 978-3351032500