MP3 vs Kassette

Wer macht hier die Welle? Beim letzten Redaktionstreffen sagte jemand nebenbei: "Ich hab da mal ein paar MP3s aus Berlin mitgebracht…", den weiteren Zusammenhang habe ich gar nicht mehr mitbekommen, weil ich erst mal lachen und dann meine Gedanken ordnen musste. Irgendwie klang es lustig, dass man MP3s mitbringt, also noch persönlich von A nach B transportiert – hier gar ganz von Berlin ins Ruhrgebiet –, denn per Internet kann ja heutzutage alles überall hin verschickt werden. Meist sogar in Sekundenschnelle, voraus gesetzt man hat sich von seinem 56K-Modem endlich mal getrennt.

Es ist eigentlich schon so sehr Gewohnheit, dass man es sich kaum noch anders vorstellen kann. Es gibt sogar Bands, die auf diese Weise Songs schreiben. Musiker haben Internetpräsenz mit Musik zum Downloaden oder zumindest zum Anhören, oder womöglich kursieren CD-Tracks bevor sie überhaupt offiziell auf dem Markt sind. Videos von Live-Gigs sind auch keine Seltenheit, mag die Qualität auch noch so schlecht sein. Dagegen ist man als Künstler wohl auch ziemlich machtlos. Da macht jeder was er will.

ein antiquarisches BootlegMeine Gedanken schweifen zurück ins Jahr 1992. Tatort: Irland, eine antike Brücke in Dublin; Täter: junge langhaarige Einheimische mit immens großen Bauchläden; Tatwaffe: illegale Bootlegs auf Kassette! Meine Freundin und ich waren damals begeistert und stöberten eifrig, als plötzlich, ehe wir uns versahen, alles ganz hektisch eingepackt, zusammengeklappt wurde und die langhaarigen Einheimischen in panischem Laufschritt verschwanden. Was war nur los? Aber dann sahen wir einen Trupp Policemen Streife laufen. Jedenfalls kam ich so umsonst zu einer qualitativ unglaublich schlechten Aufnahme eines Pearl Jam-Konzerts. Damals konnte man ja nicht einmal eine Kleinbild-Kamera mit in die Halle nehmen und die waren auch zu groß zum Reinschmuggeln. Handys gab's noch nicht. Besonders lustig fand ich das Song-Verzeichnis, auf dem mehrfach "unknown" vorkam. So was gibt’s heute wohl nicht mehr? Man ist gut informiert durch das tägliche Surfpensum. Heute weiß jeder alles und zwar besser.

Damals hat man noch leidenschaftlich Mixtapes aufgenommen, heute sind sie fast Rarität. Inzwischen kaufe ich seit Jahren nur noch eine Sorte, viele gibt es auch nicht mehr. Früher aber musste man erst mal überlegen. Welche war noch mal gut? Die Chrom oder die Metal-Kassette? Bloß nicht die ganz billigen nehmen! Die Bänder werden gefressen! Neulich konnte es ein Beifahrer gar nicht glauben, dass ich in meinem hochmodernen Spacemobil mit Multifunktionsanzeige und anderem Schnickschnack doch tatsächlich noch ein Kassettenradioteil habe. Also so was unmodernes! Doch der analoge Charakter,  d.h. dass der Sound "kontinuierlich jeden Wert zwischen einem Minimum und einem Maximum"* annehmen kann spricht doch für sich. Deswegen denke ich, dass auch die gute alte solide und fast unkaputtbare Kassette durchaus noch hervorragend ihren Zweck erfüllen kann, und man hat irgendwie auch mehr in der Hand als so einen platten nicht so ganz sonnen- und kratzfesten mit MP3s -einem "Dateiformat zur nicht-verlustfreien Audiodatenkompression"*, bebrannten Silberling.

-Lady Reason-

* Quelle: Wikipedia

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