Ist doch dann okay so...
Wie schön, dass es 2006 noch Flohmärkte gibt und ich meinen Plattenspieler nicht entsorgt habe. Für 2,50 € (runtergehandelt von 5,00 aufgrund eines Kratzers) konnte ich dieses Juwel erstehen und somit vermutlich aus dem Tiefschlaf erwecken. Zum Leidwesen meiner verständnislosen Mithörer - zunächst.
Mann, was für ein Platte! Ein Manifest über das schmutzige Leben in Rock!
Da mussten nahezu 23 Jahre vergehen, bis ich dieses Schätzchen wieder in die Finger kriege und schätzen lerne. Was sich anfangs als eher sentimentales Aufwärmen der eigenen Jugend via Plattenkauf ausmachte, endet in echter, neuer Liebe. Aber der Reihe nach.
Es muss so um 1983 gewesen sein. Ich - zarte 12 Jahre alt und musikalisch voll am Tropf des älteren Bruders. Das hat mir einerseits die Beatles beschert, allerdings auch BAP, Alan Parsons Projekt und bots eingebrockt.
Und DAUERLUTSCHER von den STRASSENJUNGS.
So etwas gab es damals doch tatsächlich in der Gelsenkirchener Stadtbücherei zur Ausleihe. Aber ganz so einfach war der Weg zu dieser Platte nicht. Immer wenn der Große nicht zu Hause war, betrat ich vermintes Gebiet und machte ich mich über seine Konfirmationsstereoanlage her (JEDER MENSCH IST MAL ALLEINE). Das war nicht ganz ungefährlich. Und dann lief, ich weiß nicht wie oft, diese Platte. Immer auf dem Sprung nicht an Bruders Anlage erwischt zu werden und wiederum auf gar keine Fall beim hören dieser LP von den Eltern erwischt zu werden. Zu meiner Schande muss ich nämlich gestehen, ich fand die Texte damals wohl eher versaut und deshalb bedeutungsvoll. Das ist in diesem Alter eben so, wichtig ist, dass ich diese Zeit nicht vergessen habe. Nach der pubertären Phase verlief meine musikalische Sozialisation in Recht ordentlichen Bahnen. Auch wenn das erste Konzert BAP in der hiesigen Eishalle sein musste und bots auf dem ein oder anderen Friedensmarsch Wegbegleiter war, danach fing ich mich und deutsches Rockgedudel fand eher weniger statt. Aber der alte Spruch: „Man trifft sich im Leben immer zwei mal" stimmt hinsichtlich der STRASSENJUNGS glücklicherweise.
Zurück in das Jahr 2006. Der Umzug war gerade überstanden, die Platte gekauft, das Abspielgerät angeschlossen - Es Geht Los. Und siehe da, die Musik zündet, die Texte sind fast so parat wie damals und man freut sich wie ein Schneekönig der gemachten Wiederentdeckung.
Gleich der Anfang macht klar, hier wird kein Tinnef erzählt. Aktenzeichen XY Szenario mit kleiner Erwischt-Werden-Hörspieleinlage (NACHTS AUF TOUR), nachvollziehbar eingefangen.
Dann ICH BRAUCH MEINEN SUFF, authentischer geht es nicht. Das klappt über die ganze Plattenlänge, hier ist kein Wort zuviel, alles gesagt, nichts ausgelassen (...ich sag dir ganz offen ich bin stockbesoffen doch ich finde dich nett aber nur fürs Bett...). Ja hallo!
Das wollten wir doch schon immer mal loswerden, oder? Früher war das vielleicht Macho, heute können auch echte Weiber so was vom Stapel lassen. Kommt eben auf die Party an.
Zwischendurch ein bisschen Christiane F.-mäßiges Story Telling und Schlagerfuzzi dissen.
Das Titellied bringt es dann wieder auf den Punkt. Mit Primitivreim und verbalem Stinkefinger zeigt sich die ganze Schönheit der Liebe an der frischen Luft, dann ist Halbzeit.
Umdrehen und weiter geht es mit einer Endlich-Wochenende-Hymne und dem anschließenden Freizeittipp-Stomper STRIPTEASE, quasi als Doppelpack, nur dass man zwischendurch ordentlich gebechert haben muss, falls man das gehörte im Selbstversuch nachempfinden möchte und dem entsprechende Etablissements nicht scheut.
Überhaupt ist das bestechende an DAUERLUTSCHER, dass es eine komplett abgedrehte Prollnacht abbildet wird. Zwar ist die Reihenfolge nicht ganz stimmig, aber wenn man will, geht die Fahrt beim ersten Herrengedeck los, passiert die üblichen Sozialblablablas (MITTERNACHT BABIES) und Freidenkerstatements (EIN BISSCHEN LIEBE - VON MANN ZU MANN) während der Betankung am Tresen und mit der richtigen Dosis im Blut wird dann Richtung Abgrund weiter gerockt. Wenn das alles überlebt ist, wacht man mit sich oder BIRGIT O. (... nie vergess ich deinen Po...) auf, falls man noch genug Erinnerungen hat und an bessere Zeiten glaubt.
Also Volk, unbedingte Kaufempfehlung. Und zwar als Platte! Dann kommt das Cover richtig zur Geltung. So, wie das aussieht, so hört sich das Teil auch an. Ein amtlicher Spaß in Zeiten, wo man an jeder Ecke auf hippe deutsche Mucke stößt, die nichts riskiert und überall Verständnis erzeugt.
Was die anfängliche Skepsis meiner Mithörer angeht? Sie ist in ein freundliches dulden übergegangen - für Verehrung habe ich ja auch etwas Zeit gebraucht.
... und wenn Dir das nicht passt - dann hau ab, hau ab, hau ab!!!
http://www.diestrassenjungs.de/
MSZY