Maritime - Glass Floor (Grand Hotel van Cleef/Indigo)

...Seelentrost...

MaritimeKennt ihr das? Man hat am Tag zuvor den letzten Rest Zuneigung zerstört, den eine Frau für einen empfinden konnte. Weil man wegen einer Kleinigkeit vollkommen durchgeknallt und ausgerastet ist. Der ganze unbewältigte Frust hat sich entladen. Man wacht morgens auf - nach stundenlangem Grübeln und vielleicht einer Stunde Schlaf - und schämt sich.

War ich das gestern? Der Blick in den Spiegel verrät es. Ja, das warst du, aber du erkennst dich nicht mehr wieder. Du warst nicht du selbst. Das weißt du. Aber sie, sie weiß es nicht. Und sie wird es nicht mehr erfahren. Sie hat nur dieses Bild vor Augen, diesen unkontrollierten Idioten, dem nicht mehr zu helfen ist. Du willst nur noch um Verzeihung betteln, aber es ist zu spät, weil alles in Trümmern liegt.

Dann legt man diese CD ein, von einer neuen Band namens Maritime. Und mit dem ersten Akkord, mit der ersten gesungenen Zeile steht fest, dass dich diese Musik heute durch den miesen Tag und in den nächsten Monaten durch dein mieses Leben begleiten wird. Nichts wird besser. Scham, Reue und Peinlichkeit bleiben, aber es nimmt dich jemand an die Hand und sagt: Hab keine Angst.

"I am walkin' again
counting my steps
so I don't lose my
way back home.
…
I´m not afraid
to love someone
for all my live
til it comes undone.
…
I'm not afraid."

Sanft rollende Wellen bis zum Horizont, voller akustischer Gitarren, hin und wieder erheben sich ein paar Bläser oder Streicher, ein Piano, ein Gitarrensolo plätschert an Land und kennt nur ein Ziel: deine Seele. Dann wieder ein kleiner Sturm und ein erhöhtes Tempo, eine Wasserhose, um dich aus deiner Melancholie zu befreien.

"Someone has to die
to make room for you and I.
Our love goes crazy all the time."

Wer solche Zeilen texten kann, löst Bilderfluten aus - und Erinnerungen an bessere Zeiten. Mit einer Stimme - ist es eigentlich noch eine Stimme? - die wie Meeresrauschen durch deine Gedanken spült und nichts weiter hinterlässt als Milde und Linderung. Am Ende eines schlimmen Tages, am Ende einer schlimmen Zeit, an der Schwelle zum Neubeginn. Der Glasboden, auf dem du stehst, scheint noch dünn und brüchig und doch spürst du mit jedem Schritt, dass auch Glas stabil sein kann und dich trägt.

Was Davey von Bohlen (Gitarre, Gesang), Dan Didier (Bass) und Eric Axelson (Schlagzeug) hier komponiert und arrangiert haben ist ein großes Album zur rechten Zeit. Ein Album gegen die Depression, ohne sie zu verleugnen. Die drei Amerikaner schaffen es mühelos, echte Gefühle ohne Triefigkeit dahinzuspielen, Gedanken ohne affektierte Effekthascherei abzurufen und in unkomplizierten, gleichwohl aber fein gesponnenen Popsongs zu verewigen.

Du möchtest diese Musik dieser einen Frau vorspielen und sagen: Das bin ich. Nur das. Und nicht die Fratze, die du gestern gesehen hast. Denk an mich, wenn du in Zukunft diese Musik hörst. Behalte mich so in Erinnerung. Aber es ist zu spät. Dir bleibt nur diese Musik.

Links:
Maritime
Grand Hotel van Cleef

 

Bild: Pressefreigabe