Als Lee "Scratch" Perry einmal gefragt wurde, ob er wieder mit Adrian Sherwood zusammenarbeiten werde, antwortete der Madman: "Nein, der hat eine Glatze" (R. Wynands: Do the Reggay, 1995). Scratch hat seine damalige Aussage glücklicherwesie nicht wahrgemacht und so konnte Sherwood im Jahr 2019 Perrys letztes reguläres Werk "Rainford" zu absoluter Klasse produzieren.
So wie es Adrian Sherwood seit Jahrzehnten immer tat. Mit seinem On-U Label hat er dem Reggae und Dub neue Facetten eingeschliffen, aber genauso Pop- und Rockgrößen wie Depeche Mode, Blur, Nine Inch Nails und so vielen Anderen perfekte Sounds produziert.
Eigene Musik hat Sherwood nur spärlich veröffentlicht. Doch nun ist es wieder soweit. Nach 13 langen Jahren gibt es im August wieder ein eigenes Album. Für "The collapse of everything" hat sich der umtriebige Produzent mit alten Weggefährten zusammengetan und und sauber konstruierte Sounds entworfen. Selbstverständlich klingt es nach Dub, doch ist es letzlich ein weitgespannter Soundtrack, der neben feisten bass lines auch Streicher und Querflöten enthält. Adrian versuchte nach eigener Aussage, für das neue Album "einen Soundtrack zu machen, der all die Dinge umfasst, die ich mag, einschließlich guter Musikalität, Dub-Techniken und auch guter Rhythmen."
Am 22. August könnt ihr beurteilen, ob es gelungen ist. Hier sind beiden ersten vorveröffentlichten Tracks bereits probezuhören: adriansherwood.bandcamp.com/album/the-collapse-of-everything
Wenn die Harfe leise flüstert
Alina Bzhezhinska ist kein Name für eine weltumpannende Karriere in der Popmusik, weil in aller Regel nur Leute wissen, die selbst Burzinski, Lubienetzki oder Gajewski heißen, wie der Name Bzhezhinska ausgesprochen wird. Und möglicherweise sind es auch nur diese Menschen, die sich erinnern können, dass es in den 1980er einen Musiker gab, der aus der Schweiz kam und die Harfe in die Popwelt salonfähig machte. Andreas Vollenweider war sein Name und Alina ist nun mehr als eine würdige Nachfolgerin.
Der Sound, den Bzhezhinska im Zusammenspiel mit Tulshi produziert ist contemporary, bluesinspiriert, versehen mit coolen Beats und nur entfernt an Vollenweider erinnernd. Doch im Kern ebenso überraschend wie Vollenweiders Musik es damals war.
So wie man manches Mal Blues zu erkennen meint, fühlt man sich bei Alinas Spiel auch an die afrikanische Kora erinnert. Die Frau kann leise genauso gut wie opulent und allermeistens hört es sich einfach fantastisch an.
Das neue Album von Alina Bzhezhinska heißt "Whispers of rain" und erscheint am 11. Juli bei Tru Thoughts. Derzeit sind nur live dates in England angekündigt, aber ich habe die Hoffnung, Allina in diesem Jahr bei irgendeinem Jazzfestival auch in Deutschland sehen zu können.
Telefonieren mit Banane
Was ist nicht alles Indie. Jede und jeder schmückt sich mit diesem Prädikat. Doch wenn jemand wirklich Indie ist, dann scheint mir das Cate Le Bon zu sein. Und zwar ohne jeden Zusatz, ohne jedwede weitere Erläuterung.
Ein Beweis? Beispielsweise die neue Single "Heaven is no feeling", die einer modernen Variante der Zeitlosigkeit entspricht, wenngleich ein Hauch 80er mitschwingt. Le Bons reichhaltige, zutiefst textliche Arrangements bauen sich in Schichten auf, Instrumente werden durch Pedale gepresst, Perkussion und Stimmen durch Filter gejagt. Da ist eine Person am Werk, der Hörgewohnheiten und Trends zunächst mal Latte sind, die aber aber auf einer Suche nach intensivem, musikalischem Ausdruck ist.
"Heaven is no feeling" gehört zu Cates kommendem Album "Michelangelo dying", das am 26. September bei Mexican Summer erscheint. Im November stellt Cate Le Bon ihr inzwischen siebtes Album in Hamburg, Berlin und Köln vor.
Geigenzähler
Sudan Archives begann ihre Karriere mit einer ungewöhnlichen Mixtur aus Violinensounds, Afrobeats und R&B. Letzteres wurde zum Schwerpunkt im Output der Amerikanerin. Und zwar in einer leichtbekleideten, handelsüblichen Variante. Mit Sudan Archives' letztem, hochgehandelten Album "Natural brown prom queen" zertrümmerte sie die Geige in gewisser Art und Weise.
Jetzt, drei Jahre später, steht die Frau erneut da mit einer cool gestylten Geige und eröffnet damit die neue Single "Dead". Der Violinensound löst sich aber schnell in aufgeregte, digitale Beats auf und rückt "Dead" in Richtung Electro.
Sudan Archives bleibt also spannend und lässt uns mit der Frage zurück: Wo geht die Reise hin?
Stillstand ist der Tod
Jede Generation hat ihre Rebellen und ihre Rouladenesser. Ausgehend von seiner Musik, würde ich Kanek zu ersteren zählen. Der Berliner erschafft krachend-knarzige, antidigitale Sounds, die zum Tanz auffordern.
Vor kurzem veröffentlichte Kanek seine erste Single "Moodcheck" und sorgte für Aufmerksamkeit. Ein Nach-vorne-Song mit einer leichten Wut im Innern. In die gleiche Kerbe schlägt der heutige Release "Heritage". Die treibende Musik begleitet ein Text, der mit Stillstand hadert. Dadurch entsteht eine gesunde Spannung, die den Song interessant macht.
Ich halte fest, Kanek hat uns erwischt mit seinen Variante alternativer Rockmusik. Und nun? Hoffen auf mehr!
Früh sterben oder bauen
Sechs Alben in 20 Jahren ist überschaubar. ClickClickDecker haben sich immer rar gemacht. Aber diese intensiven Songs der Hamburger sind sicherlich sehr anstrengend zu schreiben und komponieren. Vielleicht deshalb waren ClickClickDecker irgendwann einfach verschwunden.
Und nun: Als wäre nie was gewesen, sind sie wieder da mit einem neuen Album. "Wir waren schon immer da" stimmt ohne Frage, aber oft waren sie auch weg. Jetzt steht die erste Single parat. "Am Ende" ist bester ClickClickDecker. Auch wenn man den Eindruck hat, das neue Material ist ein wenig zugänglicher. Aber wir besprechen nicht den Tag vor dem Abend. Wir warten den 26. September ab, wenn "Wir waren schon immer da" tatsächlich bei Audiolith da ist. Ja wir warten bis dahin. Wenn auch ungeduldig.
Nach Erscheinen gibt's eine kleine Deutschland-Tour. Hach...