Mercedes Benn - Inselsucht rockt den Dichter

Zum Glück nicht bis zum HalsDie Beurteilung, ob Inselsucht eine schwerwiegende, gesundheitliche Beeinträchtigung darstellt, wäre für Dr. Benn sicher kein Problem gewesen, hätte er mehr gedoktert und weniger gedichtet. Nutznießer der Tatsache, dass Gottfried Benn seiner Leidenschaft und nicht seiner Profession folgte, ist die Greifswalder Combo Inselsucht. In klassischer Besetzung Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang haben sie sich Benns Lyrik zur Brust genommen und vertont. Man könnte nun behaupten, Inselsucht stünde mit dieser vertonten Lyrik in einer Linie mit berühmten Vorbildern wie Achim Reichel und Carla Bruni.

Aber mal abgesehen davon, dass die Inselsüchtigen diese Vergleiche vermutlich als eher abträglich für ihr Image betrachten würden, wird man damit der Musik aus dem deutschen Nordosten nicht gerecht. Zwar behaupten die Vier von sich selbst, sie produzierten schlichten, nicht artifiziellen, club-kompatiblen und tanzbaren Pop. Doch sollte man nicht meinen, die Gottfried-Benn-Songs könnten als Unterhaltung beim Zwiebelnschälen dienen. Inselsucht verlangt mehr Aufmerksamkeit. Trotz aller Popattitüde bleiben die Stücke stoppelig und etwas eckig, werden genau damit aber der abstrakten Lyrik Benns gerecht, die sich nun mal nicht mit großem Schubidu vertonen lässt. In diesen Kontext passt perfekt die prägnante Stimme Heide Kalischs, die sich durch die Gedichte singt, haucht und spricht, manches Mal mit Sirenenklang. Wodurch mein Nachbar sich zu der Bemerkung hinreißen ließ, er fühle sich beim Hören manches Mal wie beim Stehendpinkeln erwischt.

Jenseits dieser unqualifizierten Meinungen, bleibt festzuhalten: Inselsucht ist Pop gehobenen Niveaus, der keine Angst vor dem Bannstrahl aus Reich-Ranickis kulturellem Gichtfinger haben muss. Und wenn man erst einmal angefixt ist, sind die Stücke suchtgefährdend. Dann geht man besser zum Doktor, nicht zum Dichter.


Hörproben gibt's es hier:
www.inselsucht.com/
www.myspace.com/inselsucht