Astra Kid: Eine Ruhrgebietsgeschichte und Das Ende der toten Mitte

ab jetzt im PräteritumAstra Kid waren (ja, ihr lest richtig: Präteritum) eine der Bands, die ich am häufigsten live gesehen habe. Zugegeben: Vor allem deshalb, weil man immer mal das ein oder andere Konzert der Ex-Dattelner umsonst und draußen mitnehmen konnte. Und vermutlich liegt genau darin ein Grund für die Trennung der Band, die laut eigener Ankündigung noch genau vier Konzerte spielen will, bevor sie den Weg alles Irdischen geht. Für mich verbindet sich damit jedoch auch eine Hoffnung: Vielleicht, möglicherweise, eventuell stirbt damit endlich auch ein Stück vom alten Ruhrgebiet.

„Sowohl unsere Kritiker, als auch Fans waren immer mehr als ehrlich zu uns, also sehen wir es als unsere Pflicht an, es ebenso zu sein. Die Band Astra Kid wird 2006 offiziell nicht mehr existieren. Wir haben uns dazu entschlossen an dem Punkt aufzuhören, an dem der Fortbestand unserer weiteren Freundschaft nicht bedroht ist. Die ausstehenden Konzerte 2006 werden wir natürlich noch spielen und es werden sich im nächsten Jahr definitiv neue Projekte der Mitglieder manifestieren. Sehen wir das kommende Jahr also als eine etwas längere Abschiedsfeier und einen Neubeginn an. Danke an alle die uns 10 Jahre unterstützt haben, vor allen Dingen an die 'Astra Kids'! Gruß, Astra Kid.“

So steht es auf der Website der Band. Selbst die letzte und beste Platte der Astra Kids verhalf ihnen nicht zum so genannten Durchbruch – und das trotz des allgemeinen Deutschsinghypes. Sie waren und blieben halt immer die College-Rocker von nebenan. Mehr nicht. Das mögen viele als ungerecht ansehen, aber es ist passiert und man darf sich fragen, warum?

Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich nie wirklich Eintritt zahlen wollte für Astra Kid. Vielleicht lagen mir ihre Lebensweisheiten aus dem östlichen Ruhrgebiet einfach zu nah. Für meine Oma zahl ich ja auch keinen Eintritt. Aber vielleicht, tja, vielleicht waren sie - abgesehen von einigen Stücken – eben doch nur Durchschnitt. Fehlte da nicht das Extravagante, die Ecke, die Kante, das Avantgardistische, der Kick, das letzte Quäntchen, das Exotische? Nennt es, wie ihr wollt: Es fehlte. Der allseits zitierte gute, bodenständige Rock reicht eben nicht für die große Nummer.

Und während ich diese Zeilen schreibe, dämmert mir, dass dies eine Fabel, ein Gleichnis auf die gesamte Musik- und Kulturszene hierzulande darstellt. Der gute Durchschnitt, das gute Mittelmaß, das keinem weh tut und nichts kaputt macht, die tote Mitte: Das ist es, was das Ruhrgebiet, die Ruhrstadt, kennzeichnet, prägt, gefangen hält, fesselt, lähmt.

Keine Frage: Es gibt unzählige Bands und Künstler. Hier wird geschrammelt, gegrölt, gebratzt, was das Zeug hält, aber raus kommt fast immer nur die Kopie von der Kopie. Das Schon-mal-da-Gewesene, das Wir-wollen-klingen-wie. Wenn es nur die Musik beträfe, könnte man damit vielleicht noch leben, aber es ist eine Art Signet des gesamten Ruhrgebiets. Es fehlt an Courage, am Mut, Leute zu verstören, am Mut, das eigene Ding durchzusetzen, am Mut, den Minderwertigkeitskomplex abzuwerfen.

Beispiele? Gerne: Den so genannten Gastronomen fällt nichts Besseres ein, als im Dortmunder Hafen einen Strand namens Solendo aufzuschütten, der so viel eigenes Esprit versprüht wie der Fälscher Konrad Kujau. Stromert ihr gerne dort herum? Dann fahrt doch nach Düsseldorf.

In Dortmund werden kindgerecht bemalte Nashörner mit Flügeln aufgestellt und alle Welt hält es für eine selbstschöpferische Idee. Ist es auch gewesen, damals, 1998, mit den von Künstlern gestalteten Kühen in Zürich. Schaut euch doch die Innenstädte im Ruhrgebiet an, besucht die Theater, geht in die Galerien, seht in die Gesichter eures Nachbarn, seht in euer eigenes Gesicht: Es sieht nach Ruhrgebiet aus. Es stinkt nach toter Mitte. Kotzt euch das denn nicht an?

Eins steht fest. Die Lösung heißt nicht: Wir gehen nach Berlin! Die Lösung heißt: Schlagt euch mal selbst in die Fresse! Von mir aus, bis es blutet. Und dann geht auf die Straße und zeigt es allen. Zeigt mal, dass es hierzulande auch Grenzgänge gibt. Bewegt euren Arsch mal in die Randbereiche, raus aus der toten Mitte, dorthin, wo es weh tut. Los! Macht es den Astra Kids nach. Lasst den ganzen Kram zurück, der sich totgelaufen hat.

Welche Künstler und Schaffende bleiben denn in dauerhafter Erinnerung? Jene, die sich immer wieder neu formatieren, die tote Mitte aufs Neue verlassen und im besten Sinne des Wortes innovativ sind. Zugegeben: Das ist nicht einfach heutzutage, aber das hierzulande allseits beliebte Me-too ist alles andere als sexy. Deshalb sieht es hier so aus wie es aussieht, hört es sich so an wie es sich anhört, lebt es sich so wie es sich lebt.

Je länger ich darüber nachdenke, um so logischer erscheint mir daher der Schritt der nicht mehr ganz so jungen Jungs aus Datteln, was immer sie auch tatsächlich bewogen haben mag. Hoffen wir nur, dass ihre neuen Projekte das letzte Quäntchen Exotik und Energie haben, um die Fesseln der toten Mitte zu sprengen. Tut es ihnen gleich.

www.astrakid.de

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