Blumfeld im Bahnhof Langendreer, Bochum, 01.03.2004

Als ich Mitte der 90er Jahre zum ersten Mal intensiv Blumfeld hörte, "L'etat et moi", spielte ich noch beschissen Gitarre und schrieb trotz meines schon greisenhaften Alters immer noch schmachtende Pennälerlyrik - meist sogar auf Englisch. Da war es nur logisch, dass ich klingen wollte wie Blumfeld - um mich zu verbessern natürlich. Bei mir hat sich nichts Wesentliches verändert. Ah, doch: Ich schreibe jetzt auf Deutsch.

Und bei Blumfeld?

Um das festzustellen, besuchte ich das Konzert der Hamburger Sanftgesichter im Bahnhof Langendreer in Bochum. Na ja, ich kannte natürlich schon das neue Album und auch alles, was dazwischen lag, aber ich wollte noch einmal dieses Gefühl des Aufbruchs von damals heraufbeschwören: Besser und sinnhafter zu werden.

Blumfeld

Leider fing es schlecht an - ich kam nämlich eine halbe Stunde zu spät. Ist es jetzt böse, zu sagen, dass ich nie das Gefühl hatte, etwas Wichtiges verpasst zu haben? Nein. Es ist ein Kompliment, denn schon mit dem ersten reinen Blumfeld-Klang beim Betreten der Halle übertrug sich die ach so hypnotisierende Andacht der Blumfeldschen Tondichtung auf den Zuhörer. Der Einstieg war überall möglich.

Alles floss wie immer sanft dahin und Distelmeyer schwurbelte sich gekonnt durch seine ausufernden Textzeilen. Der Sound war großartig und die Stimmung auch. Ich blickte umher und schaute in beseelte Gesichter, die sich von der spätweihnachtlichen Stimmung anstecken ließen. Hier hatten sich Menschen gefunden: Auf der Bühne der intellektuell zurückgenommene Denker mit emotionaler Treffsicherheit, im Publikum die stummen und an der Gesellschaft ebenso verzweifelnden Sinnsucher, denen eine Stimme gegeben ward.

Distelmeyers Timbre scheint mit dem Alter seltsamerweise immer beschwörender zu werden und sich noch drewermannhafter über die fließenden Klangteppiche zu erheben. Aber: "Sonntag", "Anders als glücklich", "Der Sturm", "Neuer Morgen" klangen trotzdem immer nach - sagen wir mal - Rückzug. Daran änderten auch eher forsch fordernde Lieder wie "Testament der Angst" oder "Diktatur der Angepassten" nicht viel. Vielleicht war ich auch durch das neue Album etwas zu sehr voreingenommen. Aber mir schien es, als habe sich eine Band, habe sich ein Poet zurückgezogen auf seine Bühne und seine Rolle als Beobachter. Wir wissen: Er kann scharf kritisieren, Bildungsbürger, Gesellschaft, Politik, den Einzelnen und Hmmpff, aber eine gewisse Altersmilde (oder Resignation?) hat von ihm Besitz ergriffen - er ist "Jenseits von Jedem", das übrigens trotz Betteleien aus dem Saal an diesem Abend nicht gespielt wurde.

Dazu passt auch das Bandfoto auf der Rückseite der letzten CD, wo Distelmeyer, Mühlhaus und Rattay im Kreise ihrer Lieben und Getreuen picknicken. Auch im Bahnhof Langendreer hätten sich viele gerne niedergesetzt und ihre Tupperware ausgepackt, dazu ein Körbchen mit Obst, ein Glas Wein, O-Saft, Sonne anknipsen. Die perfekte harmonische Utopie der Thirtysomethings, heute Abend im Mittelschiff von St. Blumfeld, abgegrenzt von dem Bösen, dem unaufhaltsamen "Alles macht weiter" der Welt da draußen. Das Ich im Gleichgewicht mit sich, seiner Liebe und seinen Freunden. Der intellektuelle Gegenentwurf zum Chaos.

Das war irgendwie - schön. Und klang nach zeitlos wiegender Popmusik mit Kritikfaktor. Aber - mir hat es dann irgendwann auch gereicht. Nur als Blumfeld gegen Ende noch einmal ihr großartiges "Verstärker" von "L'etat et moi" in einer langen und sehr dynamisch-kämpferischen Version zelebrierten, riss es mich kurzfristig aus der seelischen Balance. War es nicht das, was ich heute Abend eigentlich gesucht hatte?

Auf dem Rückweg verpasste ich in Dortmund-Dorstfeld beim Umsteigen die S2 und saß lange auf dem leeren und kalten Bahnsteig. Leise summte ich vor mich hin - "Der Sturm."
"Wie er durch die Straßen fegt und tobt und brüllt und wütet. Was er in Schutt und Asche legt, hat der Mensch vor ihm verwüstet."

Links:
www.blumfeld.net
www.bahnhof-langendreer.de