Haldern Pop 08 - Heute schon Kartoffeln geschält?

ImageWas ist das eigentlich für eine bescheuerte Frage: "Heute schon Kartoffeln geschält?". Natürlich nicht, die kann man doch sogar geschält, als Bratkartoffeln inkl. Würzung + Natriummonoglutamat, als Kroketten, Pommes oder was auch sonst noch alles immer kaufen. So ohne Arbeit. Ohne Zeitverlust. Auf die Schnelle. Und dann weiter. Nichts verpassen. Überall dabei.

Hmm...auf einmal wird Kartoffeln schälen sehr vielleicht doch wieder sehr reizvoll... ...Und in Haldern werden jedes Jahr Kartoffeln geschält. Die berechtigte Frage stammt so also aus der Philosophie des Haldern Pop Festivals, bei Interesse und mit Geduld hier nachzulesen.

Das Haldern hat im jährlichen Festivalreigen eine gewisse Sonderrolle. Erstens werden jedes Jahr "nur" 5000 Tickets verkauft. Zweitens gibt es damit natürlich auch nicht die "großen" Headliner. Drittens deckt das Line Up keinen breiten, massenkompatiblen Bereich ab. Eigentlich beschränkt es sich auf Indie-Pop und Indie-Rock. Selbst die hippen Indietronic-Spielarten, die auf jedem großen Festival mittlerweile dabei sind, finden einfach nicht statt. Klar, ein paar Ausnahmen gibt es immer. Wie dieses Jahr dann Bohren und der Club of Gore. Die passen dafür umso besser zum entschleunigten Familientreff-Charakter des Haldern Pop.

ImageHinzu kommt eine große Verwurzelung des Festivals im Dort Rees-Haldern. Wenn Samstags in der Sonne komplette Familien das Gelände besuchen, dann kommt sogar Volksfest-Charme auf. Der alte holländische Ansager Hein Fokker (knallbunt gekleidet, wie immer) kündigt dazu auch jede Band entweder mit falschem Namen oder mit komplett unpassender Beschreibung an. Das ist gesammelte Uncoolness. So uncool, dass es fast wieder cool wird. Und wenn man dann das LineUp sieht, passt auf einmal wieder alles. Klein und fein.

ImageZum ersten Mal gibt es 2008 schon am Donnerstag Programm auf der Hauptbühne. Die grandiosen Foals eröffnen mit genial-treibendem Mathrock, der aus jedem noch so verzwirbelten Rhythmus und Gitarrenspiel einen Popsong zaubert, für die Flaming Lips. Selten live gesehen in Deutschland, aber berühmt berüchtigt für ihre übergroßen Kindergeburtstagsfeierkonzerte. So passen dann auch die 20-30 als Teletubbies verkleideten Fans auf der fast komplett orangenen Bühne ins Konzept.

ImageDazu gibt es Sänger Wayne in einem großen Plastikball eingeschlossen als Publikumsspielzeug, grellbunte Videoeinspielungen, Konfettiregen und Luftschlangenraketen, eine Lasershow, und jede Menge Rauch, Qualm, Farben, noch mehr Farben, und noch mehr Farben. Im gigantischen Spaßtreiben geht dann schon fast die Musik unter. Zum Glück nur fast. Für Fans erfolgt dann auch fast die Hit-Vollbedienung.

Schon vorher wurde das Festival im legendären Spiegelzelt (maximal 250 Personen, langes Anstehen leider Pflicht) unter anderem von der Hypeband der Stunde, den Fleet Foxes, oder Yeasayer eröffnet.

ImageDer Freitag bietet unaufgeregte Kost zum Warmwerden mit den Kilians, White Lies, Jack Penate, und Joan As Police Woman. Zusätzlich folgt der erste Überraschungsmoment mit Kula Shaker. Schon quasi vergessen, oder auch verdrängt, liefert die Band einen mitreißenden Auftritt ab. Pflichtprogramm für alle twentysomethings im Publikum, und großer Geschichtskurs für jüngere.

ImageDie Guillemots, Kate Nash und die Editors beschließen den Tag auf der Hauptbühne. Die Guillemots schön, Kate Nash völlig unatmosphärisch und gebeutelt vom Publikum, das nur auf das eine eine Lied wartet, und die Editors in einer dafür umso stärkeren, dunklen Tanz- und Mitsingparty.

Das Spiegelzeltprogramm bietet mit Loney, Dear und Bohren und der Club of Gore noch einen dank letzteren düsteren, lebensfrohsinnvernichtenden, aber trotzdem schönen Ausklang.

Der abschließende Samstag bietet etwas unvollständig klingende Trommeleinlagen von The Dodos, eine Frontsau-Galore und deftigen 70ies Rock bei The Heavy und den besten Auftritt des Festivals, dargeboten von Okkervil River am hellichten Nachmittag.
ImageIn unnachahmlicher Weise schaukelt sich die Stimmung immer weiter hoch. Band relativ gut gelaunt, Publikum geht gut mit, Band noch besser gelaunt, Publikum geht noch mehr mit, weil sympathische Band. Das ganze endet dann mit den lautesten "Zugabe"-Rufen des diesjährigen Haldern Pop.

Danach müht sich Jamie Lidell um die Herzen des Publikums, aber 20-Minütige Techno-Exzesse sind in Haldern nicht unbedingt Mittel der Wahl, das Publikum komplett auf seine Seite zu ziehen. Besser läuft da der Hippie-Charme von Iron & Wine, die düsteren, klagenden, getragenen Stücke von The National und der Tanzangriff von Maximo Park, leider geschmälert durch größere technische Probleme.

Und wie am Vortag Bohren und der Club of Gore, wird auch der Samstag langsam und bedächtigt vom Isländer Olafur Arnalds beendet. Der danach übrigens Sigur Rós auf ihrer Tour unterstützt.

So, nächstes Jahr dann auch wieder Kartoffeln schälen. Haldern ist und bleibt ein Highlight im Festivalkalender.

Ach ja, ein abschließendes Lob noch an die Organisation. Die vielen Bodenplatten haben sich gelohnt, und auch das Generatorenverbot. Für nächstes Jahr vielleicht noch ein paar Ruhewächter für die Zeltplätze. Wir sind ja nicht bei Rock am Ring, und Schlagerbeschallung bis halb 7 braucht nun wirklich kein Mensch. Außerdem werde ich alt.