Pink Turns Blue: "Die schönsten und intensivsten Momente im Leben sind oft auch die traurigsten"

ImageStimmt! Schön, dass Pink Turns Blue den passenden Soundtrack für diese Momente liefern. Mit Pink Turns Blue kehrte eine der wichtigsten deutschen Dark Wave Bands nach langer Pause auf die Bühnen zurück. Erst das ausverkaufte Re-Union Konzert im Bochumer Zwischenfall im Mai und keine zwei Wochen später 3.000 begeisterte Besucher beim Auftritt auf der Parkbühne beim Wave-Gotik-Treffen. Am 8. August von 13:50 bis 14:30 h gibt es auf dem M'era Luna Festival für dieses Jahr letztmalig die Gelegenheit 50 Minuten lang einige der schönsten Songs des Dark Wave zu erleben. Danach wird die Band endlich ins Studio gehen und mit den Aufnahmen für neues Material beginnen. Grund genug für UnRuhr mit Mic Jogwer, dem Sänger, Gitarristen und Kopf von Pink Turns Blue dieses Interview zu führen.

Zuerst ein Blick zurück. Was war Dein Antrieb Musik zu machen und Pink Turns Blue (PTB) zu gründen?


Mic Jogwer:
1985 Köln. Seitdem ich 9 Jahre alt bin mache ich Musik. Mit 14 bereits die erste Band mit schrecklich naiven Weltverbesserungstexten und erste TV Auftritte. Weil ich aus einem Dorf komme (Elten an der Grenze zu Holland / nächste Großstadt = Arnheim), war die Vorstellung in Köln Musik zu studieren und Profimusiker zu werden ein logischer Schritt. Aber: das Musikstudium war akademisch und blutleer. Viel Technik wenig Inhalt. Sackgasse. Deshalb habe ich nach Musiker gesucht, die Musik als Medium für Seelenheil, Zeitgeist und Schönheit verstehen und auch einsetzen können. Der EINZIGE Vertreter dieser Art, den ich finden konnte war Thomas Elbern. Musikalischer Autodidakt, belesen, John Peel Dauerhörer, Songwriter, Spex-Leser uvm. Thomas Elbern und mir war es ERNST. Vielleicht ZU ernst. Wir wollten mindestens so relevant werden wie Joy Division. Natürlich waren unsere ersten Versuche in der Relevanz weit entfernt von unseren Vorbildern und waren entweder schlecht kopiert oder wenn originär dann doch sehr hausbacken. Mit der Zeit entwickelte sich jedoch ein eigener Ansatz und ein eigener
Sound den wir nutzten unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Da wir uns einig waren, dass die schönsten und intensivsten Momente im Leben oft auch die traurigsten sind und jede zu überliefernde Geschichte mit schönen und schmerzvollen Elementen zu tun hat, wählten wir einen unserer Lieblings Songs "Pink Turns To Blue" von Hüsker Dü für unseren Bandnamen. Marcus Giltjes, damals Drummer einer lokalen Punk Band und eingeschworener Cure Fan stieß noch dazu... Leider zerrieb sich die Urbesetzung in dieser sehr intensiven Phase und Thomas gründete Escape With Romeo, während Marcus, Rübi und später auch Reini und ich mit Pink Turns Blue und das Schöne und das Schmerzhafte als unzertrennliche Einheit als Grundlage unserer Musik weiter machten (die erste Liebe, der erste Sex?). 


Kannst Du noch mal etwas über die England-Phase von PTB und die Zeit danach berichten. Was waren die Gründe mit der Band nicht mehr weiter zu machen?

Mic Jogwer:
Mit dem 4. Album ("Aerdt") hatten wir aus unserer Sicht alle Register gezogen und wollten dem Establishment entfliehen. London war das neue Abenteuer. Jedoch: In England waren die Happy Mondays angesagt und Factory machte in Clubbing. Techno rollte an und revolutionierte Sound und Bühne. Der Sound ging hin zu Maschinen und der Club und das DJ Pult wurde die Bühne, die DJs die Entertainer (mit Botschaft: Have Fun). Leider verlor Pink Turns Blue (oder ich) die Orientierung und damit die Lebensberechtigung. Statt eigener Handschrift und Erzählweise wieder Kopie und Bezugslosigkeit. Daraus folgte Bedeutungslosigkeit und Sinnlosigkeit. Um wieder eine eigene Identität, ein wirkliches Anliegen und damit eine Relevanz für uns und andere erzeugen mussten wir erst einmal STOP drücken.
 

Inzwischen ist die Welt global, die Finanzmärkte sind wichtiger als die Politik (Kriege werden OFFEN wegen Öl geführt), die Medien haben keinerlei ethischen oder kulturellen Auftrag mehr (Fernseher und Radio wird eingeschaltet um das Gehirn auszuknipsen -- noch schneller und effektiver als mit Alkohol und anderen Drogen -- und billiger)...

In diesem Umfeld durfte ich Seelenverwandte auf dem Wave-Gothik-Treffen und in HH auf dem "Return of the Living Dead" erleben, die meine Seele erst berührt, dann langsam aber sicher zum Leben erweckt haben. Für sehr viele bedeuteten meine Songs SEHR viel und gibt ihnen Kraft und Orientierung. Das führte mich dazu diese Lieder anzuhören. Einige davon haben sehr viel Kraft und sind in der heutigen Zeit bedeutungsvoller denn je und diese singe ich sehr gerne für mich und für andere. Das sind die Songs auf Re-Union (was für meine Wiedervereinigung mit der Szene steht, die Platte könnte auch Homecoming heißen, hat mehr Sentimentalität, weniger Kraft).

Gemeinsam mit meinen (schwarzen) Freunden möchte ich nun kraftspendende Lieder schreiben und aufführen. Lieder, die dafür stehen, dass die Seele, Schönheit, Liebe und alles was sonst so wichtig ist, für die EWIGKEIT gemacht ist. Geld, Macht, Luxus, Völlerei ist ein Ausdruck für ein seelisches Manko. Es ist seelische und charakterliche Armut. Für mich steht
die schwarze Szene für die wirklichen Werte. Persönlichkeit, Ausdruck, Leidenschaft, Ewigkeit...

Wenn Du zurückblickst, welches ist Dein persönlich wichtigstes Album und welche Aufnahme bereust Du?

Mic Jogwer:
Songs sind mir wichtiger als Alben, da Alben lediglich Zusammenfassungen einer Periode, eines Lebensabschnittes sind (so wie ein Tagebuch, wenn es voll ist und ein neues begonnen wird...) Ich habe eine sehr intensive Beziehung zu den Songs "Aerdt", "Moon", "If Two Worlds Kiss", "I Coldly Stare Out", "Your Master Is Calling", "Seven Years", weil sich mich immer noch stark berühren. "Walking On Both Sides" und "Michelle", weil sie so wahr sind...

Ich bereue keine Aufnahme, da sie zu meinem "Tagebuch" gehören. Ich denke, Lieder wie "Star", "Overloaded", "Talk Baby" haben einfach keinerlei Relevanz mehr für mich, die heutige Zeit für Hörer. Das ist so wie Dinge, die man früher gemacht hat und heute mit einem Schmunzeln für eine nicht mehr nachvollziehbare Laune hält...

Ich war bei Eurem Konzert im Zwischenfall und die Stimmung war sehr besonders. Ich hatte das Gefühl, dass die Leute auf eine Band wie Euch gewartet haben, weil es solche Musik in der heutigen Wave-Gothic-Szene kaum noch gibt. Was denkst Du darüber?

Mic Jogwer:
Das ist vielleicht etwas bedeutungsschwer, oder? Ich denke diese Einschätzung wird von vielen geteilt, hat jedoch ZWEI Seiten.

Positiv: die Intensität und Einmaligkeit einer BAND, bei der jeder Auftritt anders und einmalig ist und der im Wechselspiel mit dem Publikum ein Eigenleben und eine eigene authentische Bedeutung hat. Das ist sicherlich erfrischend im Vergleich zu CDs vom Mischpult mit Live-Gesang oder gar Vollplayback. Hier würde ich sagen, dass wir eine der wenigen Bands sind, die das 100% bieten und damit die Szene insgesamt bereichern.

Fragwürdig: Echte Instrumente und echte Live-Band sollten nicht als Argumente per se herhalten, da das nach "früher war alles besser" und "noch echt und handgemacht" klingt. Verstaubt und Retro eben. D.h. die guten alten Songs und Sounds dürfen nicht im Gestern hängen bleiben.

Hoffnung: Wir arbeiten mit allen Kräften daran, beides miteinander zu verbinden. Also Geschichten und Klänge von Heute, Songs und Ausdruck für die Ewigkeit, also zeitlos schön und relevant und das immer als einmaliges Erlebnis zwischen Band und Publikum. Musik und gelebte Gefühle im Moment.

In alten Interviews habt ihr Euch nie selbst als Teil dieser Szene begriffen. Jetzt platzierst Ihr Eure Reunion ganz gezielt in der Wave-Szene, spielt nur Lieder der Vor-England-Phase. Gezielte "Marktanalyse" oder habt ihr nach der langen Pause Eure Wurzeln wieder entdeckt?

ImageMic Jogwer:
Ich glaube die Antworten oben reichen. Die Marktanalyse würde dazu führen, Future Pop zu machen, oder Dudelsäcke zu integrieren... ;-). Natürlich gibt es zwei wichtige Einflüsse: der Zuspruch der Fans, die uns für gewisse Songs und Sounds lieben und schätzen und natürlich die heutigen Sounds, Künstler und die Szene die eine Einfluss auf uns haben, ob wir es zugeben oder nicht. Unser Zuhause ist die Schwarze Szene. Aber wir sind eine Gruppe die es liebt Songs LIVE zu ergründen und aufzuführen, die aber keine Berührungsängste mit Elektro oder Gothic haben. Wir werden unsere Geschichten weiterhin auf unsere Art erzählen. Die guten werden Erfolg haben und lange, lange leben (siehe "Michelle" uvm.) und dienicht so guten, werden schnell vergehen...

Welche Pläne habt ihr mit PTB (neue CD, Maxi, Konzerte)?

Mic Jogwer:
Wir hoffen im Herbst eine Single zu veröffentlichen und im Frühjahr dann ein Album. Bis September darf jeder seine Songs / Ideen einreichen. Im September arbeiten wir zusammen an den "guten" Songs und Ideen weiter und entscheiden dann wie es weitergeht. Über Weihnachten müssten wir das Album eigentlich hinkriegen... (Pink Turns Blue kann nur im Winter aufnehmen. Wir sind eine Winter-Band).

Was ist Deine aktuelle Top 5 (zum Kaffeesatzlesen für mögliche Einflüsse für den neuen Sound von PTB)?

Mic Jogwer:
Hups. Das wechselt wöchentlich! Ich höre Klassiker wie Depeche Mode und Sisters Of Mercy und höre Rotersand, De/Vision und Das Ich. Ich liebe jedoch auch Miss Kittin und dann wieder Iggy Pop. Derzeit würde ich einen Bogen zwischen Elektronik (eher Minimal und Retro) und extrovertierter Gitarrenmusik produzieren (so ne Mischung aus Miss Kittin und Joy Division / The Velvet Underground...) Ob das wohl geht? Die Entscheidung fällt immer erst im Studio, wenn alle dabei sind und alle eine Gänsehaut kriegen... 

In der Musikbranche kennst Du ja beide Seiten, die des Musikers und durch Deinen Job bei einer großen Plattenfirma. Was denkst Du über die Veränderungen in den letzten Jahren und gibt es für die Musikindustrie in der heutigen Form noch eine Zukunft?

Mic Jogwer:
Grosse Plattenfirma, kleine Plattenfirma. Egal. Ich glaube das Wichtigste ist, dass Musik wertgeschätzt wird. Und das kann sie nur, wenn sie auch von den Künstlern wertgeschätzt wird. Da fängt es an. Ich mag schöne Melodien und schöne Geschichten, die mir Geborgenheit und ein inneres Lächeln schenken. Wenn es mir gelingt dieses wertvolle Gefühl - welches irgendwo und losgelöst zwischen Glück und Trauer liegt - einzufangen (so wie man einen kleinen Schmetterling zart und behutsam einfängt) und wieder fliegen zu lassen, sozusagen als Geschenk für meine Seelenverwandten, dann haben meine Lieder einen Wert. Ob dieses zarte Gut dann viele Seelen entzückt, kann von Umständen wir Promo, Marketing, Vertrieb und Organisation abhängen, aber die Basis ist das gefundene und aufgeführte Kleinod "Song". Ob die wunderschöne Rose nun im Schrebergarten oder im Treibhaus wächst, oder ob sie auf dem Ökomarkt oder von einem Großhändler angeboten wird...A rose is a rose is a rose...Ich setze darauf, dass die "Vermittler" zwischen Künstlern und Musikliebhabern die Lücke wieder sinnvoll schließen werden, sonst wird jemand anders es tun (genau das ist übrigens mein Job bei Sony Music und wir kommen hier langsam voran).

Noch ein Wort zum Projekt "Orden". Kannst du Musik beschreiben und gibt es bereits Veröffentlichungen und welchen Stellenwert hat das Projekt im Vergleich zu PTB?

Mic Jogwer:
Orden ist ein reines Elektronik Projekt. Also Stimme(n) und Computer. Wenn Brigid und ich genügend gute Songs zusammen haben, werden wir sicherlich mal den einen oder anderen veröffentlichen. Stellenwert: Gleichwertig. Pink Turns Blue sind sechs Leute (live fünf), die einen anderen Sound, andere Geschichten, andere gemeinsame Botschaften haben und auch ein komplexeres Gebilde darstellen mit mehr Möglichkeiten und einem größeren Erlebnis, gerade live. Orden sind zwei. Weniger Kreative aber auch weniger die sich einigen müssen. Orden ist frisch und unbekannt (da dürfen Brigid und ich völlig frei tun und lassen was wir wollen). Pink Turns Blue ist Kult und steht für eine Band mit Szenehits...da ist die Erwartungshaltung sehr hoch...

Pink Turns Blue wollen Lieder für die Ewigkeit schreiben, kraftspendende Musik voller Emotionen, Schönheit und Verletzlichkeit. Musik gegen Belanglosigkeit und seelischen Armut. Auf das neue Material kann man nur gespannt sein. Allein der Gedanke an einen möglichen Sound zwischen Miss Kittin und Joy Division / The Velvet Underground fasziniert. Der Herbst kann kommen.

Bilder: Pressefreigaben

www.pinkturnsblue.de

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