Die da! - Ein gutes Stück Realität

Die da! Fletch BizzelObdachlosen-Inszenierung im Fletch Bizzel
Auf dem Weg zum Fletch Bizzel kreuzt ein Penner auf der Straße meinen Weg. Ich sehe zuerst auf seine Schuhe, nicht geschnürte, völlig zerfetzte Wanderstiefel. Mein Blick gleitet an ihm hoch, zerissene Kleidung, in der rechten Hand eine Plastiktüte mit seinen Habseeligkeiten. Mitgefühl, zögere ich noch, schaue ihm dann erst ins Gesicht. Er begegnet mir mit einem klaren, stolzen Blick. Wer muss sich denn hier schämen? frage ich mich und überlege, ob das Solostück "Die da" mir wohl Antworten bieten kann.

Spot on

Den klassischen "Vorhang auf" gibts hier nicht. Auf der Bühne hell ausgeleuchtet, in einem Schlafsack vergraben, liegt "die da", eine Frau ohne Namen, die auf der Straße von ihren Kumpels so gerufen wird. "Die da" lässt sich Zeit mit dem Aufwachen, da so auf der Parkbank, neben sich einen Kinderwagen mit ihrem Besitz, zu ihren Füßen, mit Zeitungspapier ausgestopfte Schuhe, damit sie morgens beim Reinsteigen nicht so kalt sind. Nach einigen Minuten setzt sich die Pennerin auf und starrt unmittelbar in die Gesichter der Zuschauer.

"Was glotzt Ihr mich so an?"

Das ist in diesem Stück die zentrale Frage mit der ein Dialog der von Bettina Stöbe gespielten Obdachlosen und dem Publikum beginnt. Zwischen den Zeilen, von Erzähltem und Erlebten der Protagonistin, zeigt das Stück die Frage nach der persönlichen und vorallem aber auch der gesellschaftlichen Mitverantwortung für eine solche Lebenssituation auf. "Die da" stellt zur Schau, was man tagtäglich auf den Straßen beobachtet und vorallem aber, dass und wie man selber hinschaut. Oftmals mit falschem Mitgefühl oder einer guten Portion Sozialvoyeurismus, das einem, nachdem man an dem Parkbankpenner vorbei ist ein Gutgefühl, dass es einem besser geht, hinterlässt. "Die da" ist zwar zerbrechlich, dennoch eine charakterstarke Frau, die weiß Gott noch was zu berichten hat und nicht nur die Körperhülle eines längst toten Lebens darstellt. Zu Tode erklärt man sie, wenn man nur die Oberfläche anschaut. Und so schreit sie auf und gebärdet sich, berichtet von den schlechten Erfahrungen in Kindheit und Jugend, die sie zu der gemacht hat, die sie ist. Eine traurige, zerrüttete und wütende Gestalt, die keine Chance mehr hat, nicht bekam, was ihr zustand, dennoch stolz weiß, was sie nicht will. Zum Beispiel sich anfassen zu lassen von einem vermutlichen Gutgönner, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben.

Im Fokus: die Macht der Gewohnheit

Der Teufelskreis nimmt weiter seinen Lauf, "die da" bemüht ihn zu brechen, indem sie sich bereit erklärt, an einer "Reintegrationsmaßnahme" teilzunehmen. Am Ende des Stücks sitzt sie in gebügeltem Kostüm mit dem festen Vorhaben, ihren von der Betreuerin vorgegebenen Tagesplan einzuhalten, doch dabei wirkt sie unecht. Denn, und so vergißt man oft, wenn man sich manches Mal einige Minuten gönnt,  über diese Menschen, die zu jedem Stadtbild gehören, nachzudenken und auf Grund ihrer Erscheinung und ihres Verhaltens abzuurteilen, denn sie alle, "die da" haben eine Geschichte, die sie hierher gebracht hat. Und so ist auch das Leben der Obdachlosenfigur geprägt von Gewohnheiten und einer anderen Form von Heimatgefühl oder zumindest der Suche danach. Und so landet die Protagonistin nicht überraschend aber auch nicht aufgesetzt bedrückend wieder auf der Parkbank.

Anders hingeschaut

Die Botschaft ist hier nicht Betroffenheit. Die Aufführung fordert heraus, sich ernsthaft, realistisch und offen mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinander zu setzen, ohne voreingenommenes Urteil oder einem pauschalisierten Schuldzuspruch. Es ist nun mal wie es ist. Obdachlose, wenn auch am äußeren Rande, sind Teil unserer Gesellschaft. Dadurch leider oftmals zur Diskrimierung verdammt. Eine nachdenkliche, aber auch kraftvolle Tragikkömodie, die auch durch ein sehr gelungenes, reduziertes Bühnesbild und die starke Darstellerin Bettina Stöbe brilliert.

Nächste Termine:
14.01.2007
09.02.2007

Preise: 13/8 Euro

Infos:  www.fletch-bizzel.de