Wie klingt es an der Unruhr?

HömmaVor dem Lesen dieses Textes ist es Pflicht, aufzustehen, zum nächstgelegenen Fenster zu gehen, es zu öffnen und zu hören. Hören, was die Region von sich gibt. Wenn ich das Fenster auch nur einen Spaltbreit lüfte, begrüßt mich die A 42 in kooperativer Partnerschaft mit der A 45 mit einem aufgeräumten, gleichwohl etwas gleichförmigen „Da bin ich!"

Jeden Tag spricht sie zu mir. Erzählt mir Geschichten von vorbei fahrenden Truckern, die den Abend lieber mit der Familie vor dem Fernseher als auf dem Rastplatz in Dortmund-Marten verbringen wollen. Von ehemaligen Freunden, die nur wenige Meter von mir entfernt vorüber fahren und vielleicht für einen kurzen Augenblick meiner noch einmal gedenken: „Was ist aus dem eigentlich geworden?" Oder: „Das Arschloch." Dann rauscht ein Motorradfahrer heran, dem das Aufheulen des Motors wie Moll in den Ohren klingt, während andere es eher für profanes Dur halten. Einmal bescherte mir der Sekundenschlaf eines Fahrers sogar das seltene Schauspiel eines explodierenden Feuerballs. Der LKW war von der Straße abgekommen und hatte ein Schild gerammt. Dem Fahrer ist übrigens nichts passiert. Die Feuerwehr blaulichtete in Minutenschnelle heran.

So komponiert uns die Region ihr Klangbild, zwischen Improvisation und strengem Arrangement, und so mancher fügt noch seine persönliche Lieblingsmusik hinzu. "Glück auf, der Steiger kommt ..."

Das alles ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem "klingenden Ruhrgebiet". Davon zeugen die Beiträge im neuen Heft des trendy FORUM Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur (Heft 1/06). Diese handeln von Geräuschen, Klang und Musik im Ruhrgebiet. Und darin geht es nicht nur ums Getöse, sondern auch um musikalische Kreativität. Zu dieser Kreativität gehören Institutionen - wie die der Folkwang Hochschule - aber auch einzelne Personen - wie die des Liedermachers Frank Baier. Am Beispiel der Jazzpräsentation und -rezeption im Dortmunder "domicil" ergeben sich Blicke in den soziokulturellen Wandel der 1960er und 1970er Jahre. Da kommen wir her. Hier sind wir nun und hören nicht anders. Doch so mancher weiß schon gar nicht mehr, wie das Ruhrgebiet damals klang. Deshalb hat Richard Ortmann im Ruhrlandmuseum begonnen, Klänge als historische Quelle zu archivieren. Auch Geräusche können nämlich verschwinden. Oder könnt ihr euch noch erinnern, wie eine Zeche klingt? Oder ein gepflegter Frühschoppen in der Opa-Kneipe an der Ecke? Ich finde, jeder sollte eine Zeche oder eine Opa-Kneipe auf seinem iPod mit sich herumtragen.

www.geschichtskultur-ruhr.de  

P.S. Auf den nahe liegenden, aber leider völlig abgegriffenen Gag, mit einem launigen "Hömma!"  diesen Beitrag einzuleiten, wurde im Sinne der journalistischen Hygiene bewusst verzichtet.