Über'n Jordan

cliffJetzt hat Jimmy seinen letzten Fluss überquert. Ich weiß nicht wie schwer es für ihn am Ende war. Für uns war es damals deutlich einfacher.

Wir haben seinerzeit die S-Bahn genommen und die Ruhr zwischen Mülheim und Duisburg nahezu unbemerkt überquert. Sind in Oberbilk ausgestiegen und hatten von da nur wenige Schritte bis zur Philips-Halle. Der Sommer hatte noch nicht richtig begonnen an diesem ersten Tag im Juni 1984. Ein Sommer wie er halt früher einmal war in Deutschland. Ein bisschen Regen, schlappe 20° zum Start in dieses Wochenende.

Man hat über das Wetter damals nicht so viel geredet und deshalb waren wir lauter Vorfreude auf die Rockpalast-Nacht in Düsseldorf. Twelve Drummers Drumming aus Mönchengladbach eröffneten das bevorstehende Abenteuer. Dann kam der Stadionsprecher – oder Hallensprecher oder MC, weiß der Teufel – auf die Bühne. Klärte uns darüber auf, dass Linton Kwesi Johnson heute nicht auftreten und durch Prince Charles & The City Beat Band ersetzt würde. Und dass Jimmy Cliff zurzeit noch ein Konzert in Zürich spielte und es nicht sicher sei, ob er im Anschluss an den Auftritt von Chalice rechtzeitig in Düsseldorf sei.

Bam! Der Auftakt unseres Ausflugs war beschissen. Doch der Ersatzspieler Prince Charles erwies sich als Joker und deutlich nach Mitternacht stand Jimmy Cliff mitsamt vollständiger Band auf der Bühne. Die Stimme zwar angeschlagen, machte er aber keine Gefangenen und haute uns „Bongo Man“ um die Ohren.

Wir flogen ab. Und landeten erst zwei Stunden später unsanft in der Düsseldorfer Frühsommernacht. Nein, Jimmy Cliff war nie der Rastaman. Wir beäugten ihn deshalb skeptisch, weil wir weißen Gymnasiasten und Reggae-Enthusiasten doch meinten, wir seien originäre Rastamänner. Zumindest nach dem dritten Spliff. Außerdem hatte Jimmy Cliff gerade „The power and the glory“ veröffentlicht mit der Hitsingle „Reggae night“. Für uns unerträgliche Besserwisser ein Kack-Popsong, weit weg von echtem Reggae. Doch dann überrumpelte uns der Bongo Man, der Originator und zeigte uns, wo der Hammer hing mit einer Live-Version von „Reggae night“, die dem Titel gerecht wurde.

Zwei Wochen später traf ich mit Sabena in Liberias Hauptstadt Monrovia ein. In jeder Bretterbude mit überdimensionierten Basslautsprechern, die dort als Bars durchgingen, lief „Reggae night“. Ich gab klein bei.

Jimmy Cliff war Reggae-Ikone der ersten Stunde, steigerte sich aber nie hinein in das esoterische Gebrabbel Bob Marleys, das wütende Geschrei Peter Toshs, das bekiffte Gerede Lee Perrys. Jimmy war sich für kein Liebeslied zu schade, doch erschuf in seiner Karriere unglaubliche Protestsongs wie „Viet Nam“. In seiner Lebenszeit reihte der Jamaikaner einen großen Song an den nächsten. „Miss Jamaica“, "You can get it if you really want“, The harder they come“. Und „Many rivers to cross“ haben doch alle gecovert. Also jenseits von Joe Cocker, der alles coverte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Bruce Springsteen, UB40, Cher, Elvis Costello, Annie Lenox.

Jimmy Cliff war nie mein größter Held, aber ihm gebührt mein maximaler Respekt. Er war nie der Weltenerklärer wie manch anderer Reggaesänger. Jimmy Cliff war der lebendige, rechtschaffene Mensch und lebte das in seinen Songs.

Now he passed river Jordan. Wie mit allen lebensabschnittsbegleitenden Menschen, die verschwinden, stirbt man ein klein wenig selbst und merkt, es ist nicht mehr so weit bis zum letzten Fluss. Deshalb ein paar Tränen, Jimmy. Für dich und für mich.

jimmycliff.com