MeinRaumFreunde goes Stockholm - Swingfly: Hip Hopper turns Indie-Rocker

SwingflyDies ist zwar nicht das typische MeinRaumFreunde-Interview (wobei: Kann man etwas überhaupt schon als „typisch" bezeichnen, wenn es das erst einmal gab?), zumindest ist es nicht in der von mir intendierten zukünftigen typischen Art, aber hier geht es ja schließlich darum, quasi durch Zufall neue Bands kennen zu lernen (wobei: Ist es Zufall, wenn mich Bands über MySpace als Freund adden oder nicht immer eine groß angelegte Werbekampagne? Andererseits: Es könnten ja ganz andere Bands sein, als die, die mir letztendlich eine Freundschaftsanfrage schicken. Hmm...). Und Zufall war ganz sicher im Spiel, als die im Folgenden beschrieben Ereignisse stattgefunden haben.

In Stockholm können einem die lustigsten Dinge passieren. Zumindest ist das bei mir bisher immer so gewesen (gut, ich war erst zweimal dort, aber dennoch scheint sich schon ein Trend abzuzeichnen). So meint man vielleicht, sich die falsche Bar für einen interessanten Abend ausgesucht zu haben, es stellt sich jedoch heraus, dass man genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.

Da sitze ich also in Noel's, einem kleinen, sehr netten libanesischen Restaurant in der Skånegatan auf Södermalm (der Ausgeh- und Partyinsel Stockholms), das - so erfahre ich später von Noel Borday, dem Besitzer - regelmäßig von „Howling" Pelle Almquist - seines Zeichens Sänger von The Hives -, den Jungs von Mando Diao und anderen Größen der Musik- und Celebrity-Szene frequentiert wird und sinniere über meinem scheißteuren Glas Rotwein (würde ich in Schweden leben, wäre ich schon am Monatsanfang pleite, besonders, wenn der auf ein Wochenende fällt), was ich mit dem Rest des Abends so anfangen könne, denn hier wollte ich nicht unbedingt bleiben.

Plötzlich höre ich aus dem hinteren Teil des Lokals Gitarrenmusik, und wenig später fängt eine Frau an zu singen. Hellhörig geworden, entschließe ich mich, der Location doch noch eine Chance zu geben und hole mir ein zweites Glas scheißteuren Rotwein an der Bar, auch um zu sehen, was denn da musikalisch gerade abgeht. Ich sehe zwei afroamerikanische Mitmenschen und eine Frau nordwesteuropäischer Abstammung, die scheinbar einen Song proben. Curiosity killed the cat, aber, da ich mindestens noch sieben Leben übrig habe (ich bin sicher, eine Katze hat sprichwörtlich neun Leben, nicht sieben wie manche sagen, obwohl es da wohl nie einen Konsens geben wird, wobei ein Katzenjahr wiederum sieben Menschenjahre sind, was die Sache nicht gerade weniger kompliziert werden lässt), erkundige ich mich so ganz nebenbei, ob ich denn ein Weilchen zuhören dürfe, wer die Drei denn seien und was sie so machen. Frage Eins wird bejaht, Frage Zwei mit „Swingfly" beantwortet und auf Frage Drei erwidert, sie probten gerade die Akustikversion eines neuen Songs für eine Radioshow am nächsten Morgen.

Nicht uninteressant das Ganze, zumal, wenn man als deutsche Musikjournalistin Urlaub in einer vor neuer Musik nur so brodelnden Metropole wie Stockholm macht. Allzeit bereit und immer mit meinem Aufnahmegerät bewaffnet (man weiß ja nie, was sich hier mal wieder bestätigt) frage ich Swingfly alias Richard Silva, ob er denn die nächsten Tage mal Lust auf und Zeit für ein exklusives Interview für ein aufstrebendes deutsches Webzine habe. Klar habe er und schlägt vor, sich am nächsten Tag am selben Ort zu treffen.

Donnerstag, 28. September 2008, 15.00 Uhr, Noel's, Skånegatan 59, Stockholm. Als ich ankomme, sitzt Richard auf einem der loungigen Sofas vor dem Restaurant und zeigt seinen zwei Begleitern Fotos der Radioshow, die am Morgen stattgefunden hat. Die beiden zusätzlichen Interviewpartner stellt mir der aus New York stammende Hip Hopper mit familiären Wurzeln in Trinidad & Tobago (mütterlicherseits), Amerika und Panama (väterlicherseits) als seine Produzenten Johan Ramström und Patrik Magnusson alias RamPac vor, die mir im Verlauf des Gesprächs helfen, die mich umtreibende Frage zu beantworten bzw. einige neue Aspekte zu ihrer Beantwortung hinzuzufügen: Warum kommen so viele gute Bands aus Schweden?

Doch zuerst machen wir es uns drinnen gemütlich, die Jungs stärken sich mit sehr appetitlich aussehenden Falafeln und leckerem Hummus, und ich erkundige mich bei Richard wie die Akustiksession beim Radio gelaufen ist. Großartig sei sie gewesen, zwar habe sich der Gitarrist am Ende einmal verspielt, aber das sei niemandem aufgefallen. Was mich jedoch viel mehr interessiert, ist, was einen amerikanischen Hip Hopper ins Land des Indie-Rock verschlägt. Hier ist Swingflys Geschichte:

Nachdem er sich in New York durch den Verkauf von Drogen ein recht beachtliches Strafregister zugelegt hatte, einige Freunde hatte sterben sehen und auch selbst fast draufgegangen wäre, beschloss Richard Silva 1991 nach Schweden zu ziehen. Warum, weiß er auch nicht mehr so genau (wohl hauptsächlich, um seinen nächsten Geburtstag zu erleben), aber sein damaliger Manager meinte, er würde ein paar Leute in Stockholm kennen, die Richard beim Ausbau seiner musikalischen Karriere helfen könnten. Diese Behauptung stellte sich als nicht ganz der Wahrheit entsprechend heraus, doch lernte der als Underground-Rapper tätige Sänger in Clubs schnell einige Leute kennen, die mit ihm zusammenarbeiten wollten.

Darunter auch der in Deutschland nicht unbekannte Musiker und Produzent Dr. Alban, mit dem er dann 1995 unter dem Namen Swing das Euro-Disco-Cover des Eurithmics-Hits „Sweet Dreams" aufnahm. Zu der geplanten Aufnahme eines gemeinsamen Albums kam es nicht mehr, da der Hip Hopper sich mit einer Band namens Blacknuss zusammentat, was dem Produzenten nicht in den Kram passte. Es folgten Projekte mit zahlreichen anderen Solo-Künstlern und Bands, unter anderem Lutricia McNeal, Robyn - der schwedischen Queen des Elektro-Pop, die derzeit mit Madonna tourt - und aktuell der sehr geilen, nicht zu kategorisierenden Band Teddybears, mit denen er 2004 die Single „Hey Boy" aufgenommen hat.

Swingfly und die TeddybearsDiese Zusammenarbeit war es dann auch, die Richard musikalisch eine neue Richtung einschlagen ließ: „Deswegen mache jetzt ich dieses ganze kommerzielle Zeug. Na, eigentlich nicht kommerziell, sondern eher Sachen, die in die Indie-, Rock- oder Pop-Szene gehören. Wenn wir „Hey Boy" live bringen, bekomme ich immer tolles Feedback vom Publikum. Die Indie-Crowd ist komplett anders als das Hip Hop-Publikum. Das steht bei Shows mit verschränkten Armen an der Wand. Kids, die Indie gut finden, wollen tanzen. Alles, was ich jetzt mache, ist daher eher Indie. „Something Got Me Started" oder „Save The Trees", „Winner"; das sind alles Indie-Songs. Bei meinem neuen Lied „Singing That Melody" bin ich mir nicht ganz sicher." Patrik wirft ein, das sei wohl eher ein Pop-Track, aber schon irgendwie Indie. Man einigt sich auf Indie-Pop. Ich finde, mit immer noch eindeutiger Tendenz Richtung Hip Hop, also eher massentauglich.  

„Singing That Melody" hält Swingfly für seinen bisher größten Hit mit über 85.000 Klicks auf youtube - und das innerhalb eines Monats (zum Zeitpunkt des Interviews; mittlerweile sind es bereits über 180.000). Obwohl „Hey Boy" in einem Hugo Boss-Werbespot verwendet wurde und andere seiner Lieder unter anderem in Fernsehserien wie „Private Practice" und Werbespots anderer Firmen: „'Something Got Me Started' lief sogar in einem polnischen Tic-Tac-Spot." Dass mit seinen Liedern geworben wird, macht ihm nichts aus, im Gegenteil: „Das Musikbusiness ist heutzutage sehr unsicher. Deswegen nimmt man, was man kriegen kann. So bringst du deine Musik unter die Leute. Ich kann nicht zu irgendetwas ‚Nein' sagen." Gibt es da wirklich keine Einschränkung? „Na ja, außer, wenn George Bush Interesse an „Something Got Me Started" zeigen würde, dann würde ich wahrscheinlich ablehnen." Na also!

Wo wir schon beim Thema „Musikbusiness" sind, muss ich eine Frage loswerden, die mich seit meiner Ankunft in Stockholm beschäftigt und eröffne damit eine interessante Diskussionsrunde über musikalische Früherziehung, gelangweilte Jugendliche und die schwedische Sprache.


Swingfly und Teddybears beim Popaganda FestivalMir kommt es vor, als ginge es in Stockholm nur um Musik. Viele angesagte Bands kommen auch von hier. Findet ihr, dass die Stadt sehr inspirierend ist und ein guter Ort für Kreativität?

Swingfly: Ja, es ist so einfach, hier etwas auf die Beine zu stellen, weil jeder in Musik denkt. Es kommt mir vor, als sei jede zweite Wohnung ein Studio. Man kann einfach in irgendein Studio gehen und loslegen. Das ist in anderen Ländern nicht so.
Johan: Bei uns ist das oft so, dass wir feiern gehen und plötzlich denken: Oh, Scheiße, ich hab da grade eine Idee. Lass uns ins Studio gehen. Und fünf Minuten später sind wir dann im Studio und nehmen auf.

Ist es, weil Schweden ein großes Land mit wenigen Einwohnen ist, es also viele kleine Orte auf dem Land gibt, wo die Jugendlichen in ihrer Freizeit nicht wissen, was sie machen sollen, deswegen eine Band gründen und dann nach Stockholm ziehen?

S+P+J: Ja, so ist es.
Patrik: Außerdem gibt es in Schweden dieses System der Musikschulen. Kinder werden schon früh an die Musik herangeführt und können sich Instrumente leihen. Es kostet also nicht sehr viel, eine Band zu gründen. Das ist in Schweden einzigartig: Fast jedes Kind wird musikalisch erzogen und kann später selbst entscheiden, ob es die Musik zu seinem Beruf machen will oder nicht.

Ich habe auch gehört, dass Proberäume ziemlich günstig sind.

P: Ja. Und wie gesagt, man kann das Equipment leihen, das gibt es alles kostenlos.

Die Musik in Schweden ist ja sehr vom Rock'n'Roll der Beatles beeinflusst. Warum denkt ihr, ist das so?

S: Ja, genau, das würde mich auch interessieren!
P: In den 50er und 60er Jahren haben schwedische Sänger die Nummer-Eins-Hits aus England genommen und einfach ins Schwedische übersetzt. Das war dann, was wir im Radio gehört haben, und es wurde zu unserer Melodiesprache. Schwedische Künstler und Bands haben auch oft in England Erfolg, und unser Englisch ist meistens auch recht gut und außerdem haben wir eine ähnliche Melodiesprache.

Viele schwedische Bands erzählen auch, dass sie sich die Plattensammlungen ihrer Eltern angehört haben und das waren eben Bands wie die Beatles...

P: ...und die Stones und Led Zepplin.
S: Für mich ist das neu. In New York habe ich so was zwar auch gehört, aber ich habe mich mehr für Reggae, Calypso und Hip Hop interessiert. Als ich herkam, sind meine Ohren erst mal durchgedreht. Das ist das Gute an Schweden. Ich denke, dass es für mich ein Vorteil ist, dass ich aus New York komme, denn da ist der Original Hip Hop und hier wollen alle so sein wie die Hip Hopper in New York, also stehlen sie von denen. Und ich versuche jetzt, von den Rock-Typen zu stehlen.

Und gerade jetzt ist das super, denn in Europa hören die Leute wieder mehr Rock.

S: Ja, und jetzt versuchen viele Hip Hopper in Schweden, das zu machen, was ich mache.


Da schaltet sich Johan wieder ins Gespräch ein, denn er scheint einen Geistesblitz gehabt zu haben: „Um noch mal auf das Thema von eben zurückzukommen: Schwedische Musik ist immer sehr melodiös, und wenn man mal drüber nachdenkt, dann ist die schwedische Sprache auch sehr melodiös." Das bringt mich in meiner Ursachenforschung bezüglich des Erfolgs schwedischer Bands um einiges voran. Die Ergebnisse werde ich in Kürze in einem  gesonderten Post zusammenfassen.

Johan und Patrik arbeiten im Übrigen nicht nur mit Richard alias Swingfly zusammen, sondern hatten am Abend vorher eine lange Session mit den Jungs von den Stereophonics und werden demnächst ein Lied mit Mick Mars von Mötley Crüe herausbringen.

Zum Abschluss lasse ich mich noch beraten, welche Locations in Stockholm einen Besuch wert sind. Als Tourist hat man ja den Joker gezogen, wenn man sich Tipps von Einheimischen geben lassen kann. Hier also Richards Top 3 Hangouts:

1. Noel's
2. Judit & Bertil
3. Riche

Swingfly und Teddybears beim Popaganda FestivalNummer zwei ist tatsächlich ein cooler Laden, mit dessen Besitzern, Pelle und Andreas, ich zusammen mit Richard dann noch um die Häuser gezogen bin. Krönender Abschluss meines Stockholm-Trips war Swingflys Auftritt mit den Teddybears als Headliner des Popaganda Festivals, den ich backstage miterleben durfte. Da passen dann auch perfekt Swingflys von Clint Eastwod inspirierten Famous Last Words zum Interview:

Go ahead, make my day!

Well, you made mine!