Rock’n’Roll mit Fräulein Nina

Fräulein Nina Ich habe Spielpause, in nächster Zeit keine Auftritte und darauf will ich in Ruhe ein Bier trinken. Ich betrete die abgelegene Dortmunder Eckkneipe, in der ich keine Seele kenne.
Die Tür von innen noch nicht zugeschlagen, werde ich lauthals von der Thekenkraft begrüßt. „Mensch, Nina! Das ist ja ein Ding, dass Du Dich hierher verläufst!", bekomme ich gleich das erste Stößchen aufs Haus vor die Nase gesetzt. Sabrina war mit mir vor über zehn Jahren in der Fahrschule und denkt damals wie heute, ich hätte die Prüfung nur bestanden, weil ich was mit unserem kleinen, dickbäuchigen Fahrlehrer gehabt hätte. Das erzählt sie auch gleich den anderen Thekensitzern, drei Herren mittleren Alters. Verlegen hebe ich das Glas zum Gruß, um es gleich hinunterzustürzen und mich dann doch ganz schnell wieder aus diesem Laden zu verabschieden, so der Plan.

„Ein Feger ist die Nina, schon immer gewesen, und singen tut sie jetzt auch!" ruft Sabrina den anderen entgegen, zwinkert mir zum servierten zweiten Bier ein Auge zu.
„Das geht auf mich!", sagt Kalle, der gerade den Barhocker neben mir einnimmt, um mir von seiner Zeit als Roadie bei Status Quo zu erzählen. „Die Siebziger, das waren noch Zeiten, da gab´ s noch richtige Rockstars", prostet er mir zu. „Und, was da drogenmäßig so alles abging, der Wahnsinn, heute kannste ja froh sein, wenn Du überhaupt noch rauchen darfst", sagt er und zückt müde lächelnd seinen Raucherclubausweis.

„Das einzige pillenartige, was sich in meinem Backstage finden lässt, sind Halslutschbonbons", denke ich und stecke mir direkt auch eine Zigarette an. Ich denke nach, ob es trotzdem mit meiner Gesangskarriere noch weiter nach oben gehen könnte, immerhin bin ich 1977,  im Jahr des Punkrock geboren. „Ist ja schön, dass Du singst, aber hömma, vom Alter her bist Du doch sowieso viel zu spät dran" sagt Kalle zu mir, während das dritte Bier kommt. „Und mal ehrlich, wer aus dem Ruhrgebiet hat es denn schon so richtig auf dem Musikmarkt geschafft? Keiner, oder?" fragt er hinterher. Während ich noch überlege und sagen will, dass ich ja jetzt in Hamburg wohne, um mich da mal in der Szene umzuschauen, sagt er: „Ja, okay, vielleicht noch Nena, die hat ihre Karriere gemacht, die kenn ich noch als kleinen Stöpsel aus Hagen, aber die hat bei mir verschissen, weil sie irgendwann nach Hamburg gezogen ist. War sich wohl plötzlich zu fein fürs Ruhrgebiet!"

Der zweite Mann am Tresen, Gerd,  schaltet sich ins Gespräch ein: „die großen Stars, die sind doch tot! War schon mal einer von Euch an so einem Grab?" fragt er und erzählt, dass er mal aus Versehen die letzte Ruhestätte von Karl May besucht hat. Ich muss bei dieser Frage kapitulieren, Roy Black zählt bestimmt nicht. Kalle würde gerne mal zum Grab vom The Sweet- Sänger fahren und beginnt vor seinem inneren Auge schon eine Gruppenreise für uns zur Pilgerstätte des Glamrock zu planen. Ich denke derweil über alternative Berufe zu Sängerin und Schreiberling nach. Als mich dann Sabrina auffordert, endlich mal „einen zu trällern", spüre ich ein starkes Unwohlsein.
Ich ziehe noch mal an meiner Zigarette, schaue hoffnungsvoll in Richtung dritten Mann am Tresen, der sich die ganze Zeit, anstatt sich am Gespräch zu beteiligen, in cooler Pose mit einem Kamm durch seine schwarz gefärbte Haartolle gefahren war. Sein Graceland- Ring, den er am Finger trägt, verrät, warum ihn das Thema des Abends bisher nicht berührt hat. Für ihn gibt´ s nur einen, the One and Only, und für mich nur diese eine Chance: „Ich würde jetzt lieber was vom King hören", sage ich und dann ist plötzlich Stille im Saal. Von Gerd und Kalle ernte ich zum ersten Mal einen anerkennenden Blick. Der Mann mit der Tolle schaut mir tief in die Augen und weist mit dem Zeigefinger in Richtung CD-Anlage. Er nickt mir zu, als die ersten Töne von „Always on my mind" aus den Lautsprechern dröhnen. Zu Sabrina sagt er: „Mach noch mal vier, die gehen auf mich." Und sie macht vier Striche auf seinem Deckel, auf dem auch sein Name geschrieben steht, sie macht vier Striche bei  „Elvis".