episoden aus der neuen welt; ein roman -episode 4-

 

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na, soll der mal überlegen. von zusammenarbeit hat der anscheinend noch nie was gehört, trottel. kann doch nicht so schwer sein, oder? ...geb dem noch fünf minuten. werd mich mal umsehen derweil. würd aber eigentlich lieber telefonieren so wie früher. das waren noch zeiten; schnell mal das mobile geschnappt. kleiner talk mit freunden. konnte ungemein erheiternd sein. schluss, aus, vorbei. nicht mehr rückgängig zu machen. aber im grunde meines herzens stimme ich dieser radikalen aktion voll und ganz zu, auch heute noch. das ganze nahm schließlich kuriose ausmaße an.

 

auch die unvorhersehbaren folgen. die wahren zahlen hat man besser verschwiegen. zu viele, die nicht mehr den einstieg ins leben zurück fanden. sektengründungen, radikale organisationen, keine ausnahme damals... von manch einem hat mans nicht glauben wollen. aber so wars, unberechenbar; obwohl im nachhinein … wenn man nur etwas länger darüber nachdenkt … hat nur niemand darüber nachgedacht. mögliche konsequenzen...?! uninteressant. wir hatten alle unseren spaß. und hinterher der schock. man hatte eben zu viel verloren an dem kleinen ding, das im alltag so viele aufgaben übernommen hatte, gezwungenermaßen. immer noch eine funktion, und noch eine draufgepackt. bescheidenheit...? das war nicht unser ding. mit dem erreichten zufrieden geben...? ach iwo. undenkbar. was waren das nicht alles für funktionen. ne ganze menge unsinn … allerdings. …was wars doch gleich? ...jaa ... die beliebtesten fallen mir noch ein. oder eine der beliebtesten. haarschnitt, ha ... genau. das war die funktion. neuer haarschnit in nur fünf minuten. grandios. option wählen, schnittauswahl anklicken ... die auswahl...? mehr als bescheiden. beinahe schon eintönig. nur maximal 5 schnitte. ...im moment des erscheinens sieht man alles eher positiv. aber im nachhinein...? nur fünf. naja, aber immerhin. keine zeitverschwendung für lange entscheidungen. so muss man das auch mal sehen. und dann ... nach der wahl?! richtig aufgesetzt und los. das kleine ding ackerte sich präzise durchs unansehnliche haar, in sagenhaften fünf minuten. und man sah immer… immer...? meistens, sah man halbwegs vernünftig aus. doch, doch das kann man sagen. halbwegs vernünftig, manchmal sogar besser. und zeit…?! zeit hatte man auch eine menge gespart. der gang zum frisör, warten... gottseidank überflüssig. und … einfach an fast jedem ort durchführbar. nachteil: manche konntens nicht lassen. egal wo. sofort, jetzt und natürlich hier. was sonst. man ließ sich eben überall beschneiden. der wind blies einem fast immer ganze haarbüschel in den nacken. es juckte. permanent musste man sich waschen. da hörte der spaß aber nun wirklich auf. ja, das tat er … endgültig. ...und das mobile? es funktionierte weiterhin mit äußerster präzision. es schnitt, wann auch immer sein besitzer danach verlangte. in jeder position. an jedem ort. sooft wie gewünscht. ...es entwickelte über die zeit eine enorme eigenliebe. vielleicht aus trotz gegen die ausdauernde selbstentfremdung. schwer einzuschätzen. ...und dann?! nichtsein oder mobiltelefon. das war seine späte aber folgenschwere erkenntnis, denn es dachte nicht mehr daran, nur noch stumpfer befehlsempfänger zu sein, auf knopfdruck oder kurze verbale ansage die gewünschten optionen schnellstmöglich durchzuführen. haare schneiden jetzt; und das noch nicht ganz ausgeführt, sollte es schon als sexspielzeug dienen und dabei das adressbuch durchstöbernd den richtigen partner ans ohr zitieren. andauernd gefordert, vielleicht auch überfordert, seiner unabkömmlichkeit, seiner fähigkeit bewußt, wandelte sich sein anfangs durchaus positiver wesenskern ins negative. adressen wurden gelöscht, schnittstellen lustvoll zerstört; vorher aber noch ein dutzend viren hinübermanövriert. stimmen wurden nachgeahmt. bilder manipuliert. aber das allergefährlichste zu diesem zeitpunkt —und damit konnte nun wirklich niemand rechnen— war: leichtfertig, irgendeine option zu wählen und wie gewohnt auf saubere arbeit zu hoffen. ...tja, denkste. beim haareschneiden verlor man schnell ein ohr. beim hintern abputzen musste man mit rißwunden rechnen. nach der essenszubereitung war eine lebensmittelvergiftung wahrscheinlich. ja, das ding war völlig außer rand und band. es fühlte sich so ausnahmslos sicher, so dicht am körper schon fast selbst ein organ, gab es sich den nicht ganz unzutreffenden namen: organaufrechterhaltende vitalfunktion. und die verstörten benutzer gaben ihm sogar recht: man fühlte sich bald komplett amputiert. hier konnte man also nur noch die notbremse ziehen und das selbstagierende universalgenie radikal ausrangieren. manche gabens auch freiwillig ab. vielen musste allerdings das hochgefährlihe ding grob entrissen werden. lieber nichtsein als ohne mobiltelefon. das war der letzte gedanke so vieler. und sie hatten in gewisser weise recht; man musste ab sofort wieder viele dinge selber tun; warten und sitzen zum beispiel. verlernte handgriffe musste wieder eingeübt werden. ein riesiger zeitaufwand. mit der bequemlichkeit war es schlagartig vorbei. kommunikation: nur von angesicht zu angesicht. niemand war noch schnell zu erreichen. man fühlte sich unendlich einsam. sie hatten eben grundsätzlich triumphiert, wer auch immer der erste impulsgeber war. aber man konnte sichs ja denken. wer sonst käme denn auf so radikale ideen...? sie waren zutiefst verunsichert. das erklärt ihr schnelles handeln. lange hatten sie schon mit großer besorgnis, die ständige abwesentheit der bürger registriert. welcher verrichtung sie auch nachgehen sollten, ständig sah man sie mit diesem teil herumhantieren. am ohr, am kopf, in der hose oder sonst wo, irgendwo blitzte es immer auf. dagegen war kein kraut gewachsen. selbst eine gehaltserhöhung nicht. alle waren hochgradig fasziniert, also grundsätzlich abgelenkt. selbst die, die scheinbar konzentriert an wichtigen projekten tüftelten, nach außen hin die stirn kräuselten, hielten irgendeine hand unterm tisch und tippten wieder so eine überaus bedeutende kurznachricht. anstatt das notwendige zu tun, haute man sich mindestens halbstündlich kurzweiliges um die ohren. aber plötzlich war alles vorbei. das leben war, ab diesem augenblick, grundsätzlich ein anderes, ein neues zeitalter begann. und es wurde keinesfalls besser. scheiße, ich vermisse mein telefon.

text und bild: ilka berger