20110820


Geschichten aus der Todeszelle

Der Mann erwacht in einem weißen Bett bei Sonnenschein. Sommerfrühling, draußen heimische Vogelwelt, intakt und fast tropenlaut, das Konzert, ein Erwachen in GUTEN GEDANKEN. Wie nach einem schönen Traum, auch wenn die Erinnerung daran fehlt. Die 'Erinnerung an sich' fehlt in diesem Moment, man ist mit sich im reinen wie selten, und das Licht hat so eine angenehme Erdigkeit, kein bisschen apricot und keine Sorgen, Sorgen, Sorgen ...
»Ach du«, sie nennt mich bei meinem Namen, beim richtigen Namen, wie lange ist das her, ist SO WAS her? Rosea bringt das Frühstück, das ich unbedingt beschreiben muss: frischer Röstkaffee, frische frische Brötchen und süße Erdbeermarmelade, Augen zu und RIECHEN, keine Blume schafft das, so ein Duft des Lebens!
Überhaupt. Rosea. Ich dachte, ich hätte dich (UMGEBRACHT, aber das sage ich nicht, alles nur ein Traum, alles nie geschehen, so schön!!!) Sogar laufen kann ich wieder! Deshalb hat sie den kaputten Rollstuhl einfach auf der anderen Straßenseite stehen gelassen. Rosea, du hast mich doch wegen einem anderen usw. (auch das besser nicht sagen).
Dieses sonnenmorgendliche Frühstück im Bett, ins Kissen gelehnt, die Beine angewinkelt (die Beine, ja die Beine!) Wie schön du bist, Rosea, wir lachen, zeigen Gefühle füreinander, wie Kinder im Sonntagsbett. Und unsere Zehen balgen miteinander.
Vorne, in der Küche, unterm Fenster: die Bundesstraße, wie ganz früher, als ich wirklich Kind war, denke ich, aber nur vorne raus.
Hier, hinten, unterm Schlafzimmerfenster: ein Garten, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Gott wäre neidisch, gäbe es ihn. Das muss der Tod sein, so denke ich, Haus Gottes und solche Sachen, was man so denkt, wenn das Glück UNFASSBAR wird.
Und anschließend duschen wir. Körper und Liebe.
...
Danach, Rosea schon unten, ich STEHE noch in der Dusche, herrlich, in Badelatschenzehenklemmern. Beinahe singe ich beim Kopfeinseifen, vor Glück, wir gehen gleich zum Strand, heute frei, Rosea hat frei und ich?
Was mache ich eigentlich?
Als ich den Latschen ausziehen will, geht das nicht. Ich weiß, ich stell mich an, geht trotzdem nicht. Den rechten habe ich schon abgestreift, aber das linke Bein will nicht raus. Ich drücke den rechten Zeh in das Gummi, das linke Bein will trotzdem nicht raus. Was ist das überhaupt für ein Bluterguss? Ich verzweifel, weil Rosea gehen will. Wohin denn? Wohin gehen wir? Aus? Ins Theater? Nein, es ist doch tags. Wohin geht man tags, wenn man am Meer wohnt? Haha, ich könnte über mich lachen, aber ich ärger mich. Wieso will das Bein nicht? Das ist doch jetzt alles vorbei und ich bin doch wieder gesund und unschuldig bin ich auch und überhaupt! Ich werde wütend, trete mit dem Latsch vor die Duschtür, aber die geht nicht auf, die klemmt, beinahe rutsche ich aus, ich breche mir noch das Genick, die Nasszelle eine Todeszelle. Ich dusche doch nur, ich ziehe den Hebel hoch, die Dusche ist viel zu heiß, aber eigentlich ist es nur der Latsch, der nicht vom Fuß will. Wieder trete ich, die Tür kracht auf, fällt aus den Angeln, im Spiegel gegenüber ein Pavian.
»Schatz ...?« (von hinter der Badezimmertür)
Ich will zurück. Und überhaupt war der Fuß ja gebrochen und überhaupt denke ich nur noch dieses blöde Wort, »überhaupt«, was heißt das eigentlich, was heißt das überhaupt? Hahaha, überm Haupt? Und alles Herrliche vorbei, alles kommt wieder, meine ganzen Erinnerungen und der Latsch ist immer noch am Fuß und ich stehe weinend in der Dusche und weiß nicht ein und aus.


>>> Kommentar von Rosea: Kein Kommentar.
(Rosea ist schon lange tot)