20110620

 


Geschichten aus der Todeszelle

»Lass uns Adorno buchen ... eeeh besuchen!« (ich)
Die Nymphalidendame lacht.
Dabei ist der Mann im Rollstuhl wieder nüchtern. Nur übermüdet, nach DER Nacht. (Nicht das was DU denkst, Leser!)
»Oder, noch besser, mach mir den Friedrich wieder lebendig.«
Und: »Kannst du das?«
»Meinst du, nur weil wir unsterblich sind, können wir ALLES?«

Die Tür geht auf. Der Zivi. Der Zivi kommt zum Pillemannwaschen. Er sieht die nackte Schmetterlingin auf meinem Bett sitzen. Und den leidigen Rollstuhlmann in seinem leidigen Rollstuhl davor. Als bete er sie an. Das tut er vielleicht auch. Wer hat schon mal das Glück, eine echte Unsterbliche zu treffen?
»Herr ...«, der Zivie sagt meinen Namen. Als wär ich ein Held. Oder ein Casanova.
»Nicht das was DU denkst, Zivi!«
»Ich habe nicht zu denken!«, er lacht mich aus. Dann an die Nackte gewandt (die übrigens nicht das geringste Anzeichen von Scham zeigt):
»Ich bin Zivi. Ich wasche Herrn ...!« (Mein Name)
Sie: »Wollen wir baden?«
Die spinnt.

»Ich will den Friedrich zurück!«, ruft der Rollstuhl. Mann. Und: »Und gewaschen wird nicht!«
»Sie sind ein freier Mann!«, sagt der Zivi. Haha.
Ich: »Sie können jetzt gehen, sagte der Henker und ließ das Fallbeil runter. So'n Scheiß!«
Und zur Frau: »Mach mich unsterblich!«
»Aber wie?«
»Wie du!«
»Wir sind Larven. Wir sind Kinder. Wir kennen keine Triebe. Erst die Triebe machen sterblich. Wir aber haben das Larvendasein für die Ewigkeit eingefroren. Du aber bist ...«
»Geil! Ich bin notgeil! Als wäre das das Leben. Geilsein ist gar nicht geil! Will sein wie du!«
»Werden Sie doch Mönch oder so ...« Wie blöd sind eigentlich Zivis?
»Wir leben zusammen in Schwesternschaften«, sagt die falsche Schwester.
»Sag' ich doch!«, der blöde Zivi.

»Wir kennen weder unsere Eltern, noch werden wir jemals unsere Kinder sehen. Wir haben keine Verwandten. Wir haben nur uns. Uns Schwestern und Brüder.«
»Für immer ...«, flüstert das Rollstuhllamm devot. Hält ihr den Kopf hin. Den Hals. Schräg. Zum Reinbeißen. Als könnte sie ihn durch einen modischen Vampirbiss zum Nymphaliden machen. Er weiß selbst, wie dämlich das ist.
»Ich bin wohl über ...?«, fragt der Zivi.
»Du bist so was von über!« Der Mann im Rollstuhl spuckt vor des Zivis Füße.

Der Junge fängt das Zittern an. Sein Gesicht zuckt unkontrolliert, als wolle ... quatsch, als MÜSSE er gleich heulen. »Dann verschwinde ich eben!« schreit er, und reißt sich den Pflegerkittel auf. Weißhaarige Alte-Männer-Brust. Und sein Kopf, oh mein Gott, sein Kopf ...
»Metamorphose ...«, flüstert Frau.
»Wa... ...as?!«
»Wenn die Metamorphose einsetzt, ist es zu spät. Dann ist die ewige Unschuld vorbei, die heilige Unreife, die ...«

Der Zivi schüttelt sich das Gesicht vom Kopf. Ein labberiger Gummilappen, eine Schlabbermaske, seine Hände, seine unglaublich ZÄRTLICHEN HÄNDE (erst jetzt sehe ich, was DER für zärtliche Hände hat!), reißen sein Gesicht auseinander, wie Milchgummipapier.
Die Schmetterlingsfrau steht auf und ergreift einen Holzknüppel, der nur aus rein cineastischen Gründen plötzlich neben meinem Bett an der Wand lehnt. Der nur - und das, seit ich hier bin - darauf gewartet hat, irgendwann endlich heute dem Zivi in die Eier zu semmeln.

»AUA!«, brüllt der Friedrich, denn es ist der Friedrich, der unter der Zivimaske weiterlebte, »AUA!«, brüllt er und greift sich mit seinen zärtlichen Händen DAHIN.
»Unter diesen Händen wird gestorben ...«, flüstere ich, »wieso ...?«
Die Dame ist ganz entspannt. Sitzt wieder auf dem Bett.
»Das macht man so. Um sich die Phaliden vom Leib zu halten.«
»Die ... was?«
»Die Phaliden, oder auch Metanymphen. Die Metamorphierten. Die mega metageilen Schmetterlingsböcke.«
»Meta ...«, flüstere ich. DIE hat mir den Friedrich gebracht.
Den Friedrich, der sich am Boden krümmt und jammert. Schon wieder.
»Gehen wir jetzt?«, frage ich.

>>> Kommentar der Putzfrau: »Kluge Frage!«