20110610


Geschichten aus der Todeszelle

Die Schwester (die nicht kam), die ist lecker, aber kein Vergleich zu der Brennenden. Oder zur Putzfrau (Priesterin, Richterin). Kein Vergleich zu Meta Stase, der LETZTEN Braut, die mich küssen wird.
Während ich dies aufschreibe, mitten in der Nacht, in der NÄCHSTEN Nacht, steht tatsächlich eine Braut in meinem wie ein Jugendzimmer. Jugendzimmer, nicht Gotteszimmer. Keine Schwester. Nicht DIE Schwester. Nur eine Gottlose. Eine Braut ohne Seele.
»Zieh dich aus, du alte Hippe!«, brülle ich trotzdem (als wär's die g... Schwester).

(Ich habe gerade von meinem Cognac getrunken)

 

>>> Kommentar der Putzfrau: Der Kerl wird langsam unausstehlich.

Die Braut rührt sich nicht. Ich nehme noch einen Schluck, einen tiefen Schluck, der meine Kehle verbrennt, und die Zunge, besonders die Zunge. Vom Einen zum Andern sind nicht nur meine Worte vulgär: »SSieh'ich auss; Schlampe!«
Es kommt immer schlimmer. Der Mann im Rollstuhl am Fenster, den Cognacschwenker in der Hand, die andere in der dunkelbraunen Trainingshose, fummelt am Urinalkondom, am tauben, toten Ihr wisst schon in einer Gummipelle, aber er gibt nicht auf. Er sagt dieses böse Wort mit »F«, und man kann den Kaffeefleck sehen, der dieselbe Farbe hat wie seine Hose.
»Waiba!«

»Ist das alles, was dich am Leben hält?« Ihre Stimme.
Ihre Stimme ist seltsam fern. Wie von einem Tonband. Und tatsächlich mit Echo: »... am Leben hält ...eben hält ...«
Ich sehe auf die Frau. Und die Frau fragt mich, was mich am Leben hält. Das Fummeln nun wirklich nicht. DAS nicht mehr, nie mehr. Aber ich denke ständig daran. STÄNDIG. Einmal noch, denke ich. Ein einziges Mal noch. Und weiß doch auch, dass es dabei nicht bleiben würde. Ich würde es mir immer wieder wünschen. Wie ein Kind. Wie ein bekacktes, unreifes Kind.
»Hich figg dich in dein' Aasch, do Sau do, do do ...«

»Da ist nichts ...«
Kein Arsch? Kein Arsch in der Hose?
Und schon steht der Engel Gabriel vor mir. Lässt das Gewand fallen, so ein echt abgefahrenes Mittelalterklostergewand, und da steht ein nackter Engel, ein, ich betone, NACKTER Engel. Ohne IRGENDWAS zwischen den Beinen. Und ohne Titten. Ein Knabe ohne Penis, ein Mädchen ohne Muschi, ein neutrales, bleichhäutiges Wesen, ein winziges Schlitzlein zum Pipimachen. Und jetzt lässt sie (er? es?) auch noch die Perücke ... sie hat eine Perücke aufgehabt! Da ist ... die hat gar keine Haare auf dem Kopf. Ja Scheiße, das ist ja das reinste Alien!
»Dat' gibbet do' ga' nich!«

Und Augen, groß wie Untertassen, nicht ganz, okay, aber wie so eine glatt rasierte Mangaqueen sieht die aus, Japanporno, das ist bestimmt eine 'sie', eine Manga! Kaum Nase, ein Strich statt ein Mund, und Irrsinnsaugen. Und Glatze, aber ein hoher Schädel, unmenschlich hoch, zippymäßig hoch, noch höher.
»Das mit dem Engel ...«, sagt sie, ich unterbreche: »WER hat 'Engel' gesagt?«
»Du!«
»Nein!«
»Aber gedacht!«
Fuck! Die liest meine Gedanken.
»Fuck, ich lese deine Gedanken!«
Oh Scheiße, oh Scheiße, oh Scheiße!
»Kein Kommentar ...«
»Also bist du ein ...«
»Ja ...«
»echter ...«
»Ja!«
»Engel!«
»...«
»Ja was denn?«
»Ich bin ein ... Nymphalid. Ihr würdet's mit 'Schmetterlingsmensch' übersetzen ...«
»Was?«
»Ja, richtig, sag nur 'Waaas?', das Wort trifft's nämlich nicht richtig. Ich bin kein Schmetterling, auch wenn ich ...«
Sie drehte sich um. Keine Zeit, auf ihren Arsch zu schauen (hat sie einen oder nicht?), der Blick bleibt an den Schulterblättern hängen; außerdem wird der Rollstuhlmann gerade wieder nüchtern - ein Zustand, der mehr erlaubt, als auf Ärsche gucken. Der Mann sieht ihre Flügel.
»... auch wenn ich Ansätze von Flügeln habe, die sich irgendwann zu richtigen Flügeln auswachsen werden.«

>>> Kein Kommentar der Putzfrau.