Kackmännchen

HundIch bin ein Kackmännchen. Als der liebe Gott den Adam aus Lehm formte, da hat Luzifer, der den Trick mit der Schlangengestalt bereits kannte, heimlich zugesehen: Gott nimmt eine weiche, dunkle Masse, knetet sie und formt daraus ein Ebenbild seiner selbst. Er haucht es an und fertig ist der Mensch.

Zurück in der Hölle hätte Luzifer auch gerne so ein Spielzeug. Und weil er sich nicht recht zu helfen weiß und weil er ohnehin seine Analphase nie überwunden hat, macht er einen großen Haufen mitten auf den nackten Fels und beginnt selbstvergessen wie ein Kind zu spielen. Er formt gleich eine ganze Gruppe Figuren, die mehr oder minder wie Gott - oder auch wie Luzifer selbst aussehen. "Humanoide" würde man heute sagen. Und wie Gott haucht er jedem Einzelnen von ihnen seinen schwefeligen Atem ein und schickt sie los zum Paradies, um Adam und Eva zu ärgern.

Leider waren diese Kreaturen so missraten, dass die wachhabenden Engel sie angewidert zurückschickten. Derart stinkende, unvollkommene Wesen hatten im Paradies nichts zu suchen. Sie blieben also außen vor und fristeten ihr kümmerliches Dasein in mühevoller Arbeit, schmerzhaften Geburten und begrenzter Lebensdauer. Als es Luzifer endlich gelang, mit dem Schlange-Apfel-Trick auch Adam und Eva aus dem Paradies herauszuholen, da war die Welt schon bevölkert von menschlichen Wesen, die nichts Göttliches an sich hatten. Den Rest der Geschichte kennen wir. Gottgleiche und Kackmännchen vermischten sich und ergaben zusammen die heutige Menschheit.

Ich habe lange gebraucht, um mir meiner selbst bewusst zu werden. Wir sind zwar genetisch längst vermischt, doch die meisten Menschen sind entweder mehr von der einen oder mehr von der anderen Natur. Dadurch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Gottgleichen wollen zurück ins Paradies, weil sie sich daran ERINNERN. Sie haben das Paradies noch in sich, sind also gefestigt in ihren Wünschen, sind klar, geradeheraus und das, was man heute authentisch nennt. Wir anderen, wir kennen das Paradies nicht, wir TRÄUMEN nur davon, weil wir, seit uns Luzifer geschickt hat, vergeblich versuchen, in etwas hinein zu kommen, von dem wir keine Ahnung haben, was es eigentlich ist.

Darum tun die Kackmännchen immer nur Gutes. Nur durch Gutes können wir hoffen, doch noch mal das Paradies als Teil der richtigen Menschen zu erleben. Nur durch Gutes können wir unbemerkt unter den Ebenbildern Gottes bleiben. Wir wären gerne so gut wie die wirklich Guten, mühen uns ständig, mühen uns aber nie aus einer Leidenschaft, die schon selbst das Gute ist, nein, wir mühen uns aus reiner Angst vor der Entdeckung des Unguten. Deswegen ist unser Gutes weniger vollkommen, doch zugleich viel umfassender. Wir sind überall gut, keine Stelle, an der wir anecken wollen. Das liegt an unserer Haut aus Plastik, die wie eine gespannte Folie unserem Körper die Form gibt. Sie ist hauchdünn, verletzlich, aber sie verschließt den Geruch so vollkommen, dass wir nach nichts riechen, nach rein gar nichts. Vor lauter Ungeruch sind wir wie unsichtbar.

Doch immer bleibt meine Angst, dass bei Nähe das eine oder andere Schwefelmolekül herausdringt und die Menschen dann auf Abstand gehen. Mag sein, dass ich übertreibe, mir das nur einbilde, doch ich habe Angst vor der Entdeckung und bleibe lieber selbst auf Distanz. Auch habe ich Angst, dass durch eine unachtsame Bewegung ein Riss entstünde. Man stelle sich das vor, ausgelassen sein, mit den Kindern auf dem Teppich kugelnd und plötzlich, "Rrratsch!", wie eine Nahtstelle an der Hose, aber viel tiefer, und alles quillt heraus.

Mein Ekel ist groß. Man sollte glauben, ich wäre in jeder Latrine gut aufgehoben, doch im Gegenteil, meine Plastikhaut schützt nicht nur die anderen, sie schützt mich vor allem vor mir selbst. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es in mir zugeht, was sich da bewegt, sich quetscht und zwängt, in ständiger Verdauung. Ich brauche viele gute Gerüche um mich herum, frische Luft genauso wie würziges Essen, Blumen oder Früchte. Ganz schlimm ist es unter meinesgleichen. Dieser Gestank, den ich mir einbilde, wenn ich das feuchte Plastik fremder Haut anfasse. Obwohl wir die Mehrheit sind, meiden wir uns und zeugen unsere Kinder nur aus Überdruss. Ich kann mich nur an den Gottgleichen erfreuen, an dem Leuchten in ihren Augen, wenn sie sich begegnen, an ihren Zärtlichkeiten untereinander, doch manchmal fehlt mir genau das. Nein, es fehlt eigentlich immer.

Es ist das, was die Gottgleichen Liebe nennen. Sie tragen sie in sich und wir Üblen nicht. Das macht den Unterschied. Für uns ist die Liebe ein Fremdstoff, nach dem wir hungern, weil wir denken, dass die Liebe wie ein göttlicher Odem unseren Kotkörper in lebenden Lehm verwandelt. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Es scheint mir eher eine blinde Gier zu sein, nach einer Droge, nach etwas, das uns, wenn wir es einmal probiert haben, den Rest des Lebens schwächt, aushungert, uns leer und kraftlos macht, zu kraftlos für irgendein Gutes. Einige wenige Wochen habe ich sie gehabt, die sogenannte Liebe, habe sie gefühlt, gerochen und war das, was man so leichtfertig "glücklich" nennt.

Aus Angst, von meiner Geliebten erkannt zu werden, bin ich erstarrt unter meiner Folie, habe jede Bewegung mit unendlicher Bedachtsamkeit ausgeführt. Wenn sie mich anfasste, meine Haut wie von einer Schlange, darunter das weiche, glibberige Rumoren, und aus meinem Mund der Atem der Verwesung, dann fühlte ich ihren Widerwillen. Bald war die Tür zu und ich an die Luft gesetzt, wo ich hingehörte, wo mein Gestank ihr Haus nicht mehr verpesten konnte. Nur die Blumen mochten mich. Blumen mögen Scheiße. Und die Fliegen. Wir Kackmännchen sollten in den Blumen leben, die Fliegen als Freunde haben und wir sollten nie wissen, was hinter den Türen geschieht. Ich habe es aber gewusst, bin mit meinem Kopf immer wieder dagegen gerannt, "Rumms!", und noch mal und noch mal. Mein Kopf war zu weich. Die Haut zerriss und wie eine Brühwurst ging ich auseinander. Mein Platzen war eine grausame Befreiung. Die Haut löste sich ab, und darunter glänzte im nassen Braun mein Selbst, dass sich nicht länger hinter guten Taten verstecken wollte.

>>> Kommentar der Putzfrau:

Seit Tagen stinkt der. Wäscht sich nicht mehr. Weiß gar nicht, warum ich so froh bin, überhaupt mal was zu riechen. Bin ich pervers oder was? <<<