Auf Tournee gehen mit Fräulein Nina

Verfasst von Fräulein Nina am .

auf TourKonzerte zu spielen, da stellt man sich immer ein Rock´n Roll-Leben in den schillerndsten Farben vor. Mit Champagner auf dem Hotelzimmer und so. In Wirklichkeit kann man froh sein, wenn man sich beim absolvierten Auftritt keinen Fehltritt leistet und noch irgendwo einen Döner auf die Hand und am Hoteltresen ein Bier bekommt.

Eines Abends in Herzogenrath sitzt um 23:30 Uhr noch ein Bier drin. Unter den strengen Augen der Wirtin besteht die auf schnelles Austrinken bei zeitgleichem Zahlen. "Denn bei so Künstlern weiß man ja nie, ob die auch solvent sind", da kommt also Anschreiben auf der Hotelrechnung gar nicht erst in die Tüte. Ich zahle und gehe aufs Zimmer, das von Kettenrauchern, die es vermutlich die letzten Jahre über belegt haben, eingeräuchert ist, um meinen wohlverdienten Schlaf zu finden. Hotel "Zur Brücke", was für ein sehnsuchtserweckender Name, frage ich mich beim Einschlummern. Ob dieses Quartier seinen Namen erhalten hat, weil vielleicht ein kleines Flüßchen am Haus vorbei plätschert? Ein immer lauter werdendes Rauschen stellt sich ein. Nix da, idyllisches Bächlein, das sind Züge und ich bin hier an der Brücke vom Hauptbahnhof. Nach zwei Stunden Schlaf, weil hier scheinbar der gesamte Güterverkehr gen Westen die Nacht über fuhr, heißt es "erst recht ans neue Tagwerk".Zwei Auftritte sind zu spielen, einer morgens, der andere am Abend in Lübbeke bei Minden, bei Herford. Meine unterränderten Augen weiten sich, denn der kleine Ort  präsentiert sich weltmännisch. In der Einkaufszone eröffnet bald ein Modeladen, der mit dem Slogan wirbt: New York, London, Paris, Lübbecke.Die Veranstalterin vor Ort empfängt uns ganz herzlich und stellt uns den Lichttechniker   vor: „das ist Kai". Kai ist ziemlich stolz, dass ihm diese verantwortungsvolle Aufgabe zufällt, denn er macht das heute zum ersten Mal. Und außerdem ist Kai gerade mal neun. Er läßt sich das Pult erklären und scheint gewappnet, an einer Stelle, wenn ich „Ganz Paris träumt von der Liebe" singe das Licht etwas zu dimmen, damit es noch romantischer rüber kommt. Die Vereinbarung zwischen mir und Kai ist, dass ich ihm ein Auge zuzwinkere, wenn sein Einsatz kommt.Der dramaturgische Höhepunkt der Aufführung naht. Ich schaue zu Kai, will das versprochene Auge zudrücken, als ich sehe, dass er ganz selig eingeschlafen ist. Ich kann ihn so gut verstehen, steckt mir doch auch die Müdigkeit der letzten Nacht noch in den Knochen, also flüstere ich ins Mikro: „Okay, jetzt kommt eigentlich die romantische Stelle an der das Licht etwas runtergedreht werden soll, doch der Kai, unser Lichttechniker ist eingeschlafen und er sieht so süß aus, dass ich ihn nicht wecken möchte." Das bis dahin zurückhaltende ostwestfälische Publikum nutzt meine Anmoderation, um in einen kollektiven, nicht enden wollenden Lachkrampf auszubrechen. Und so wird Kai aus seinem sanften Schlaf gerissen und die Panik steht ihm in den Augen, als hätte er seine Hausaufgaben vergessen. Ich singe schon das Lied, da übertönt er mich mit einem lauten Aufschrei, der dann nahtlos übergeht in ein verzweifeltes Heulen, mit dem er nicht aufhört für weitere 40 Minuten der Show. Wenn´s nach seiner Mutter geht, die neben Kai sitzt, gehöre ich nicht auf die Bühne, sondern unter die Erde: In der habe ich vor lauter Scham berührt zu versinken oder es mir gleich auf ewig in einer Holzkiste gemütlich zu machen, folge ich ihren Blicken.Nach der Vorstellung renne ich zu Kai und entschuldige mich. Dem geht´s soweit schon etwas besser, sein Onkel hat ihm zum Trost ein Eis gekauft und "von Mama krieg´ich gleich noch eine Pizza", sagt er zu mir. Ich lege noch einen Schokoriegel oben drauf und frage ihn: "kannst Du mir verzeihen?", er nickt lässig und schlägt die Hand drauf ein. Das ist nochmal gut gegangen. Nicht auszudenken, mich in einer Weltstadt wie Lübbecke nicht mehr blicken lassen zu können.Wie es richtig geht:


www.fraeulein-nina.de

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